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Öffentlicher Verkehr Erlebt die Schweiz die Renaissance des Trams?

Weltweit setzen Städte auf die Strassenbahn. Auch Lausanne und Lugano haben bald wieder ein Tram. Folgen weitere?

Luzern hatte eins. Schaffhausen auch. Montreux ebenso. Ja selbst in Freiburg, St. Moritz oder Locarno fuhren einst Trams. Fast jede Schweizer Stadt hatte bis Mitte des letzten Jahrhunderts eine Strassenbahn. Dann setzte der Niedergang des Verkehrsmittels ein. Schienen wurden herausgerissen, um dem motorisierten Verkehr Platz zu machen.

Nur fünf Netze blieben übrig: Zürich, Basel, Bern, Neuenburg und Genf. Wobei das Netz in Genf zwischenzeitlich auch auf eine Linie schrumpfte. Doch die Zeiten und das Image des Trams haben sich gewandelt. Das Tram kommt zurück.

Tram-Revival in Lausanne und Lugano

Lausannes Tramnetz erstreckte sich einst über fast 70 Kilometer. 1964 wurde es beerdigt. Das Tram hat nicht mehr den Standards und Erwartungen der damaligen Zeit entsprochen. Doch nun, 60 Jahre danach, kommt es zur Renaissance. Die Bauarbeiten für eine neue Tramlinie sind in vollem Gange. Die erste Verbindung wird von Lausanne nach Renens führen. In einer zweiten Etappe sollen die Schienen bis nach St. Croix verlängert werden.

Arbeiter in orange bei Strassenbahnbauarbeiten in der Stadt.
Legende: Bald rollt es wieder: In Lausanne sind die Bauarbeiten für die neue Linie in vollem Gange. tramway lausanne / flickr

«Das Tram wird drei Buslinien ersetzen und auch mehr Kapazität bieten», schreiben die Verkehrsbetriebe Lausanne. Die Endhaltestelle Renens ist einer der wichtigsten Knotenpunkte der Westschweiz. Da Trams eine eigene Spur haben, sei in Zukunft ein stabilerer Fahrplan möglich. Nicht nur fahren die Schienenfahrzeuge schneller als Busse, sie seien auch nicht dem Verkehrsaufkommen ausgeliefert. 2026 kehrt das Tram ins Stadtbild zurück.

In Lugano ist man noch nicht ganz so weit. Aber auch im Tessin werden in naher Zukunft wieder Gleise verlegt. Die bestehende Eisenbahnlinie aus Ponte Tresa soll als Tramlinie bis ins Zentrum von Lugano verlängert werden. Das Herzstück des zukünftigen ÖV-Angebots: ein Tunnel unter dem Hügel hindurch, auf welchem der Bahnhof Lugano steht, inklusive unterirdischer Haltestelle. Die Reisezeit aus der Agglomerationsgemeinde Bioggio in die Stadt soll sich um 15 Minuten verkürzen.

Strassenszene mit Trams und Bushaltestellen in städtischer Umgebung.
Legende: Ein Blick in die Zukunft: die Endhaltestelle des Trams im Zentrum Luganos. Repubblica e Cantone Ticino

Das Projekt in Lugano steht. Die Gelder vom Bund sind gesprochen. Auf Nachfrage teilt das ausführende Unternehmen «Rete Tram-Treno del Luganese» mit, dass man 2027 mit dem Bau beginnen möchte.

Newsupdate: Mehrkosten in Lugano

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Wie die Tessiner Zeitung «La Regione» am 25.3.2025 berichtet, dürften die Kosten für die geplante Tramlinie von Lugano doch höher ausfallen als geplant. Die Sprache ist von Mehrkosten von 200 Millionen Franken.

Das Dossier dürfte deshalb nochmals eine Schlaufe durch die Politik drehen müssen.

Die genauen Ursachen der Kostenexplosion bleiben vorerst im Dunkeln. Details würden noch kommuniziert, so das Unternehmen RTTL in La Regione.

Laufe alles nach Plan, dürfte 2035, also 75 Jahre nach dem letzten, das erste Tessiner Tram der Neuzeit fahren. Und bereits jetzt bestünden Ideen, wie das Tram dann einst auch in der Fläche Luganos verlängert werden könnte.

Folgen auf Lugano und Lausanne bald weitere Städte? In St. Gallen scheint die Idee eines Trams wieder an Fahrt aufzunehmen, berichtete das Regionaljournal von SRF vergangenes Jahr. In Winterthur wird die Rückkehr zum Tram geprüft, war im Landboten Ende 2024 zu lesen. Und eine Studie aus dem Jahr 2021 zeigte auf, dass das Tram eine geeignete Variante für die Verbindung von Freiburg mit seiner Agglomeration wäre. Nur in Biel hat man 2015 ein Tramprojekt wieder auf Eis gelegt.

Das Tram als Katalysator

Dass an so vielen Orten über eine Rückkehr des Trams nachgedacht wird, überrascht Verkehrsplaner Claudio Büchel nicht. «Das Tram ist das passende Verkehrsmittel für die städtische Mobilität.» Hatte man sie einst abgeschafft, um Platz für das Auto zu erhalten, habe der Wind mittlerweile gedreht.

Büchel ist Dozent für Raum- und Verkehrsplanung an der Ostschweizer Fachhochschule. Er unterrichtet, wie Tramlinien in den städtischen Strassenraum integriert werden können. Zurzeit berät er mit seinem Institut die Trambetriebe von Helsinki.

Ein neues Tram ist auch ein Anlass, um Strassenräume neu zu gestalten
Autor: Claudio Büchel Dozent für Verkehrsplanung

«Wenn eine Buslinie stark überlastet ist, dann kann man den Takt verdichten oder auf Doppelgelenkbusse setzen. Aber auch die werden nie so viele Passagiere fassen wie ein Tram.» Strassenbahnen hingegen seien effizient. «Die stehen nicht im Stau.»

Eigentlich gebe es nur einen Punkt, der potenziell gegen eine neue Tramlinie spricht. «Die hohen Investitionskosten für Geleise und Fahrleitungen können abschrecken.» Aber, so der Tram-Experte: «Eine Tramlinie kann ein unglaublicher Katalysator für die Entwicklung sein.»

Modernes Gebäude mit Strassenbahn im Vordergrund.
Legende: Die Glatttalbahn gilt als Katalysator für diverse Entwicklungen entlang der Route zwischen Flughafen, Stadt und Agglomeration. VBG

«Eine neue Traminfrastruktur wird von Investoren als klares Bekenntnis zu einer langfristigen und guten ÖV-Anbindung gesehen.» Bestes Beispiel hierfür sei die Glatttalbahn, die den Flughafen Zürich mit der Stadt und der Agglomeration verbindet. Nach deren Fertigstellung 2010 sei rund um die Haltestellen das 25-fache des ursprünglichen Investitionsvolumens investiert worden.

Gleichzeitig erhöhe ein Tram oft auch die Attraktivität der Innenstädte. Denn neue Tramlinien hätten immer auch eine raumplanerische Komponente. «Sie sind ein Anlass, um Strassenräume neu zu gestalten. Tram-Systeme haben schon manches Quartier belebt.» Allen voran in Frankreich.

Die Tram-Renaissance nach französischem Vorbild

Wenn heute von einer Renaissance des Trams gesprochen wird, muss man fairerweise sagen: Die Weichen für die globale Wiedergeburt, die wurden bereits vor 40 Jahren gelegt. In Nantes 1985 und Grenoble 1987. Es waren die ersten Städte, die Jahre nach der Stilllegung wieder neue Tramschienen verlegten.

In Frankreich gab es nur noch drei Städte mit Tram. Mittlerweile sind es 27. «Und die Wiedereinführung wurde konsequent mit einer Stadterneuerung verhängt», weiss Büchel. Strassburg gelte als Paradebeispiel einer Tramstadt und werde bis heute von Städteplanerinnen zur Inspiration besucht.

Die Globalisierung des Trams

Von Frankreich aus hat das moderne Tram dann die Welt erobert. Das weiss kaum einer besser als Bernhard Kussmagk. Der Berliner ist bekennender Tram-Fan und reist als solcher rund um den Globus. «Ich kenne 94 Prozent aller Tramnetze der Welt.»

Er bestätigt: «Die Renaissance ist noch in vollem Gange.» Seit dem Jahr 2000 sind 142 Städte wieder oder neu zu Tramstädten geworden. Darunter sind auch Orte, an die man als Laie kaum ein Tram erwarten würde.

Strassenbahn auf Stadtstrasse mit modernen Gebäuden.
Legende: Seit 2018 fahren in der algerischen Stadt Oargla Trams. Dreimal pro Tag müssen die Fahrzeuge im Betriebshof abgekühlt werden. Bernhard Kussmagk

«Sie können in der Sahara Tram fahren!», weiss Kussmagk, der auch in Fachzeitschriften über seine Reisen berichtet. «In der Oasenstadt Oargla in Algerien setzt man aufs Tram, obwohl es dort bis zu 50 Grad heiss wird und man die Gleise jeden Tag vom Sand befreien muss.»

Algerien sei ein Land, das eine «Tram Renaissance par excellence» nach französischem Vorbild erlebe. Bis 2011 gab es noch kein einziges Tram. Heute haben sieben Städte eine Strassenbahn, 28 weitere Netze seien geplant.

Zuletzt habe er China, Argentinien, Brasilien, Dubai und Katar des Trams wegen bereist. Ihm sei aber wichtig zu betonen, dass er vor Ort auch alles andere anschaue. «Auch für eine Erkundungstour ist das Tram geeignet. Aus dem Fenster sind Städte wie ein Theater. Die Kulisse fährt an einem vorbei und ich kann geniessen», so Kussmagk. Seine Frühlingsferien dürften wohl schon gebucht sein: Ab April fahren auch in Lüttich in Belgien wieder Trams.

Die Schweizer Tramzukunft

Und wie realistisch sind weitere Tramstädte in der Schweiz? Vor gut einem Jahr sagte SBB Chef Vincent Ducrot im Blick: «Für die Feinverteilung müssen wir den lokalen ÖV ausbauen und vermehrt auf Trams, Rufbusse oder sogenanntes Light Rail setzen.»

Verkehrsplaner Claudio Büchel würden zusätzliche Tramnetze freuen. Doch vorerst dürfte es abgesehen von Lausanne und Lugano vor allem Erweiterungen von bestehenden Netzen sein. Komplett neue Tramstädte entstünden nicht von heute auf morgen. Komme hinzu, dass Tramprojekte, was die öffentliche Finanzierung anbelange, gegenüber Eisenbahnprojekten, eher benachteiligt seien.

Dennoch, das Potenzial, das wäre gegeben: «St. Gallen wäre für mich eine perfekte Tramstadt. Eine Linie einmal längs durch die Stadt könnte ganz viel abdecken», so Büchel. Auch könne er sich vorstellen, dass eine Verlängerung der Regionalbahn Frauenfeld-Wil als Tramverbindung in die Aussenquartiere vielen Leuten das Leben erleichtern würde. «Und wenn die Limmattalbahn einst verlängert wird, dann würden Wettingen und Baden auch zu Tramstädten.»

Radio SRF 1, Radiotipp, 22.3.2025, 18:00 Uhr

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