Ausgerechnet die kleine Schweiz ist ein Paradies für Spione aus aller Welt. Agentinnen und Agenten kommen aus unterschiedlichsten Gründen in unser Land. Sie interessieren sich für die Pharmaindustrie, für internationale Organisationen, den Rohstoffhandel und vieles mehr. Doch bisher weist die Schweiz Spioninnen und Spione nur selten aus.
Die Schweiz mache es ausländischen Geheimdiensten und ihren Agentinnen und Agenten relativ einfach, sagt der Journalist Thomas Knellwolf. Zehn Jahre hat er für sein neustes Buch «Enttarnt – die grössten Spionagefälle der Schweiz» recherchiert.
Ein Fall aus jüngster Zeit führt ins Berner Oberland. Nach Meiringen ins Hotel Rössli, das eine chinesische Spionagefamilie gekauft haben soll. Man vermutet, dass es sich hier um einen auf lange Jahre angelegte Operation vom chinesischen Nachrichtendienst handle, sagt Thomas Knellwolf.
Im Visier: der neue Schweizer Kampfjet F35, amerikanischer Herkunft. Diesen Kampfjet versuche China seit Jahren auszuforschen. So nah wie beim Hotel Rössli, das direkt am Rollfeld des Militärflugplatzes steht, kommt man nirgends an den Kampfjet heran. Deshalb vermutet man, dass Chinesen das Hotel gekauft haben. Diese seien jetzt aber weggeschickt worden.
Mit der Schweizer Spionageabwehr machen wir es den ausländischen Agentinnen und Agenten wirklich einfach.
Nebst China sind es Länder wie Russland, USA, Türkei und Iran, die in der Schweiz aktiv sind, sagt Knellwolf: «Mit der Schweizer Spionageabwehr machen wir es den ausländischen Agentinnen und Agenten wirklich einfach.» In der Schweiz gebe es rund 50 Leute, die sich professionell mit Spionageabwehr beschäftigen, zum Teil in Teilzeit. Andererseits habe allein Russland mehr Agentinnen und Agenten undercover als Diplomaten in Bern, Genf oder Zürich stationiert.
In seinem jüngsten Lagebericht bestätigt der Schweizer Nachrichtendienst die Problematik. Da steht:
Von den rund 220 Personen, die an den russischen Vertretungen in Genf und Bern akkredidiert sind, ist sehr wahrscheinlich nach wie vor mindestens ein Drittel für die russischen Nachrichtendienste tätig.
Russland habe die Spionagetätigkeit in der Schweiz jüngst noch verstärkt, sagt der Experte Adrian Hänni, Dozent am Institut für Zeitgeschichte in München gegenüber «10vor10» im Mai.
James Bond prägt das Agentenbild
Die Schweizer Spionagegeschichte sei sehr männerlastig, sagt Thomas Knellwolf. In seinem Buch kämen zwei, drei Frauen vor und ein paar Dutzend Männer. Das hänge damit zusammen, dass Frauen weniger auffallen.
Alle hätten James Bond vor Augen und stellen sich einen Mann in der Agentenrolle vor und nicht unbedingt eine Frau. Knellwolf geht davon aus, dass Frauen besser durchschlüpfen.
Der Bundesrat sagt, wir können nicht auswählen, wer bei den internationalen Organisationen in die Schweiz kommt. Wir müssen nehmen, wer kommt.
Auf die Gründe angesprochen, weshalb die Schweiz ein beliebtes Tummelfeld für Spionage ist, bringt Knellwolf die Neutralität zur Sprache. «Der Bundesrat sagt, wir können nicht auswählen, wer bei den internationalen Organisationen in die Schweiz kommt. Wir müssen nehmen, wer kommt.» Diese Politik sei jedoch stark umstritten.
National- und Ständerat machen jetzt auch Druck und wollen, dass sich das ändert. In der Schweiz enttarnte Spioninnen und Spione sollen sofort ausgewiesen werden. Andere europäische Länder tun dies bereits, wie im Lagebericht des NDB zu lesen ist:
Es wurden zahlreiche russische, als Diplomaten getarnte Nachrichtendienstangehörige ausgewiesen. In der Schweiz blieb ihre Anzahl hingegen stabil.
Gefährdete Minderheiten
Gehört man einer Minderheit an, müsse man schon aufpassen, sagt Thomas Knellwolf. Tibeter, Uiguren oder etwa türkische Oppositionelle seien gefährdet. Es gebe immer wieder Fälle in der Schweiz, zum Beispiel die versuchte Entführung eines türkischen Geschäftsmannes. Die müssten auf der Hut sein, erklärt Knellwolf und ergänzt: «Ich glaube, man sollte das Problem wirklich ernst nehmen.»