Bei der Deutschen Bahn wird gestreikt – schon wieder. Während sich die Menschen in Deutschland ärgern und ihre Pendelstrecke neu organisieren müssen, geht bei uns in der Schweiz alles seinen gewohnten Gang.
Seit dem Generalstreik von 1918 kam es beim Personenverkehr der SBB eigentlich zu keinen Streiks mehr, weiss Christian Koller.
SRF: Warum wird bei der SBB nie gestreikt?
Christian Koller: Bei der SBB gibt es im Gesamtarbeitsvertrag (GAV) eine Klausel, die die «absolute Friedenspflicht» erfordert. «Absolut» bedeutet, dass sich diese Friedenspflicht nicht nur auf vertraglich geregelte Angelegenheiten bezieht. In der Schweiz sind Friedenspflicht-Klauseln seit dem 2. Weltkrieg üblich. Darum wird hier auch weniger gestreikt.
Das Streikverbot geht aber noch weiter zurück?
Bei der SBB hatten viele Mitarbeitende ab 1927 bis Ende des 20. Jahrhunderts einen Beamtenstatus. Dieser beinhaltete bereits ein absolutes Streikverbot. Das bedeutet, es gab jahrzehntelang die Tradition, dass man überhaupt nicht streiken durfte. Diesen Beamtenstatus gibt es heute nicht mehr, stattdessen aber die Friedenspflicht im GAV.
In Deutschland auf der anderen Seite haben Streiks bei der Bahn quasi eine Tradition.
In Deutschland wird im Vergleich zur Schweiz in den meisten Branchen anders verhandelt. Beim Aushandeln eines GAV erzielt man in der Schweiz in den meisten Fällen eine Einigung. In Deutschland wird hingegen bereits während der Verhandlungen zu Arbeitskampfmassnahmen aufgerufen, um der eigenen Position Nachdruck zu verleihen.
Ein Streik im Schweizer ÖV ist nicht völlig undenkbar. Es hat aber bisher nie die SBB getroffen.
Ein weiterer Punkt: Im Eisenbahnbereich in Deutschland konkurrieren sich zwei verschiedene Gewerkschaften. Beide wollen sich profilieren und buhlen um Mitglieder.
Können wir in der Schweiz also beruhigt sein?
Es gibt auch bei der SBB oft Diskussionen darüber, wie gut sie als Arbeitgeberin ist. Aber das ist sicherlich nicht auf dem Niveau, das man aus anderen Ländern kennt. Käme die SBB mit abstrusen Arbeitszeitforderungen oder massiven Lohnkürzungen, glaube ich, dass es auch in der Schweiz zu Streiks kommen könnte, trotz Vertragsklausel.
Ein solcher hätte nicht nur für die Bahn einen immensen Schaden, sondern auch volkswirtschaftliche Auswirkungen. In Deutschland ist man sich solche Ausfälle eher gewohnt.
Das Gespräch führte Rouven Born.