Franziska Oertle hat ihre Wurzeln im Christentum – ihr Vater war Pfarrer und gestaltete Taizé-Gebete, die sie schon als Kind beeindruckten. Heute leitet sie eine Meditationsgruppe in der Tradition des vietnamesischen Mönchs Thich Nhat Hanh. «Das Buch «The Miracle of Mindfulness» hat mein Leben verändert», sagt sie.
Nach vielen Jahren in Asien, wo sie Tibetisch lernte, um den Dalai Lama in seiner Muttersprache zu verstehen, kehrte Franziska Oertle vor zwei Jahren nach Oberegg AI zurück und unterrichtet dort die tibetische Sprache. Sie führt auch eine kleine Meditationsgruppe.
Radio SRF: Achtsamkeit ist ein Wort, das oft inflationär verwendet wird. Wie können wir im Alltag achtsamer werden?
Franziska Oertle: Indem wir uns auf die kleinen Dinge konzentrieren. Eine Blume am Strassenrand bewusst wahrzunehmen, ist ein wichtiger Schritt. Oft sind wir zu zerstreut und verpassen solche Momente. Grundsätzlich sind sie aber ein Wunder. Diese kleinen Wunder gilt es wieder zu sehen. Als ich mit dem Praktizieren begann, habe ich versprochen, die «Fünf Achtsamkeitsübungen» anzuwenden. Diese Übungen helfen, dass wir die Wunder um uns sehen und bewusst wahrnehmen.
Viele Menschen fühlen sich an Weihnachten einsam. Was raten Sie diesen?
Unserer Lehrer sagt, man kann gar nicht wirklich allein sein, weil wir immer in Verbindung mit der Welt stehen. Ein Beispiel: Wenn ich eine Tasse Tee trinke, bin ich verbunden mit der Person, die die Teeblätter gepflückt hat. Dieses Bewusstsein hilft, sich weniger allein zu fühlen.
Ohne Leid gibt es kein Mitgefühl.
Wie können wir Mitgefühl entwickeln, wenn wir uns jetzt an diesen Feiertagen allein fühlen?
Im Buddhismus wird Mitgefühl als der Wunsch definiert, dass andere frei von Leid sind. Ohne Leid gibt es jedoch kein Mitgefühl. Der Satz «Ohne Schlamm gibt es keine Lotusblume» zeigt, dass Leiden oft der Ursprung von Mitgefühl ist.
An Weihnachten dürfen wir Mitgefühl mit uns selbst haben. Wer allein ist, sollte sich bewusst machen, dass er nicht der einzige Mensch ist, der sich so fühlt. Diese Erkenntnis schafft eine Verbindung zu anderen, die das gleiche Leid teilen. Viele sind in dieser Zeit alleine und haben das Gefühl, allein zu sein.
Das Gespräch führte Sandra Schiess.