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Alt Bundesrat ganz privat Adolf Ogi: «Man muss Menschen mögen»

In Adolf Ogis linker Hosentasche steckt stets ein Rauchquarz. Ohne Bergkristall, seinen Glücksbringer, gehe er nicht aus dem Haus, heisst es über den Alt Bundesrat aus Kandersteg. Ob das stimmt, will SRF-Moderator Simon Leu gleich zu Beginn wissen.

Adolf Ogi

Alt Bundesrat

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1942 in Kandersteg (BE) geboren, war er von 1987 bis 2000 Bundesrat für die SVP. Nach seinem Rücktritt wurde er Sonderberater für Sport im Zeichen von Entwicklung und Frieden bei der UNO – und direkter Berater des Generalsekretärs. Vor dem Amt als Bundesrat war er im Schweizer Skiverband tätig.

SRF: Haben Sie ihn dabei – den Rauchquarz?

Adolf Ogi: Selbstverständlich! Ich glaube daran, dass er eine gewisse Kraft ausstrahlt. Natürlich braucht es dafür den Glauben und die Verbundenheit mit der Natur, die ich als Bergler verspüre. Als ich Bundesrat wurde, drückte mir der Strahler Kaspar Fahner einen Kristall in die Hand und sagte, er bringe mir Glück, Freude und Segen. Und tatsächlich: 1999 konnte ich vielleicht mit seiner Hilfe den Abmarsch des chinesischen Staatspräsidenten Jiang Zemin verhindern.

Was geschah 1999 beim Staatsbesuch des chinesischen Präsidenten?

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Die Schweiz pflegt seit langem gute Beziehungen zu China. Dies ist zum Teil darauf zurückzuführen, dass sie als eines der ersten westlichen Länder die neue Volksrepublik China kurz nach ihrer Gründung 1949 offiziell anerkannt hatte.

Doch 1999 hätte diese Freundschaft um ein Haar geendet. Bei einem offiziellen Besuch des damaligen chinesischen Präsidenten Jiang Zemin in der Schweiz kam es zu Demonstrationen für Tibet mit «Free Tibet»-Transparenten, als dieser vor dem Bundeshaus in Bern ankam. Beim chinesischen Präsidenten kam das sehr schlecht an. Er sagte, die Schweiz habe «einen guten Freund verloren».

Demonstrationen, Fragen nach den Menschenrechten und eine falsche Platzierung liessen Jiang Zemin damals den Kragen platzen. War es Intuition, wie Sie auf ihn zugegangen sind?

Er war verärgert und wollte empört abmarschieren. Ich sass neben ihm und drückte ihn sofort in den Stuhl zurück. Vielleicht war das unanständig, doch ich spürte intuitiv, dass es das Richtige war. Er verlangte Papier und Stift und zeichnete zur Beruhigung eine chinesische Blume.

Man muss Menschen mögen. Über die Partei-, Kultur- und Sprachgrenze hinweg.

Als er sich wieder etwas gefasst hatte, schenkte ich ihm einen Rauchquarz und erklärte, dass sein Entstehungsprozess viele Jahre gedauert habe und er ihm Glück bringen werde.

War es Empathie und Menschenkenntnis, die Sie im richtigen Moment das Richtige tun liess?

Die «vier M» – wie ich zu sagen pflege – sind entscheidend: Man muss Menschen mögen. Über die Partei-, Kultur- und Sprachgrenze hinweg. Dieses Credo haben mir meine Eltern mit auf den Weg gegeben. Wie mein Vater als Skischulleiter oder Bergführer mit Menschen umgegangen ist, hat mich sehr geprägt.

Im Vorgespräch haben Sie gesagt, Sie seien bei den besten Eltern aufgewachsen. Was haben Ihnen diese mitgegeben?

Liebe, Fürsorge und Begleitung. Wenn ich daran war, zu entgleisen, haben meine Eltern stets sehr einfühlsam und bestärkend zu mir gesprochen. Ohne sie wäre ich vielleicht nicht nach Neuveville in die Handelsschule gegangen oder nicht Offizier geworden. Ich erinnere mich gut, als ich für die Unteroffizierschule ins Tessin musste und am Vorabend ganz bedrückt mein Zeug zusammenpackte. Da waren es mein beruhigender Vater und meine liebe Mutter, die mich wieder ermutigt haben. Solche Momente sind wichtig – besonders in der Jugend.

Ich bin sehr stolz auf meine Kinder.

Sie sind selbst Vater. Konnten Sie diese Fürsorge auch Ihren Kindern weitergeben?

Ich hoffe, ja. Als ich in den Bundesrat gewählt wurde, waren meine Kinder noch im Teenageralter. Wenn immer möglich, habe ich versucht, mindestens zwei Halbtage pro Wochenende meiner Familie zu widmen.

Wir sind fragend, suchend und nicht findend.

Mein Sohn Mathias, der ein Berner Gymnasium besuchte, war im Stadtturnverein. Jeden Dienstagabend habe ich mir die Zeit genommen, ihn vom Training abzuholen. Ich habe versucht, meine Kinder zu begleiten und ihnen beizustehen. Ich bin sehr stolz auf sie. Leider musste Mathias sterben.

Ihr Sohn ist vor 15 Jahren an einer seltenen Form von Krebs gestorben. Hat sein früher Tod Ihre Sicht aufs Leben verändert?

Ich konnte seinen Tod nie ganz verarbeiten und habe viele ungeklärte Fragen: Warum musste er vor uns sterben? Wir sind fragend, suchend und nicht findend. Die Traurigkeit ist unüberwindbar. Ich habe an meinem Glauben an Gott gezweifelt.

Meine Familie und ich mussten gemeinsam durch diese schwierige Zeit – die nie ganz überwindbar sein wird. Zum Glück ist der Glaube aber wieder zurückgekommen.

Das Gespräch führte Simon Leu.

Radio SRF 2, Musik für einen Gast, 27.10.2024, 12:40 Uhr ; 

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