Viele Leute lesen auch in den Ferien berufliche E-Mails. Zu diesem Schluss kommt eine Studie des Branchenverbands der deutschen Informations- und Telekommunikationsbranche bitkom. 66 Prozent der Befragten geben an, dass sie auch in den Ferien am Handy für die Arbeit erreichbar sind. Die Hälfte geht davon aus, dass Vorgesetzte Erreichbarkeit erwarten.
Explizite Zahlen für die Schweiz gibt es nicht. Jedoch bestätigt Sarah Genner, Digitalexpertin und Dozentin an der Hochschule für Wirtschaft Zürich, dass dieses Phänomen auch hier verbreitet ist. «Die Leute geben häufig an, dass sie keine übervollen Mailboxen möchten, wenn sie aus den Ferien zurückkommen. Sie finden es weniger stressig, regelmässig ihre Mails zu checken, damit sie nachher nicht vor einem riesigen Berg stehen.»
Wenn die Stellvertretung fehlt
Genner beobachtet auch, dass viele Leute Angst davor haben, ihre Kolleginnen und Kollegen oder ihre Kundschaft im Stich zu lassen und sie sich darum verpflichtet fühlen, auch in den Ferien erreichbar zu sein. Dazu komme, dass in vielen Organisationen eine klare Stellvertreterregelung fehle.
Weil viele Führungskräfte auch am Abend oder am Wochenende erreichbar sind, leben sie den Arbeitnehmenden diese Arbeitsweise vor.
Auch das Verhalten der Vorgesetzten hat einen Einfluss darauf, inwiefern man sich verpflichtet fühlt, in den Ferien erreichbar zu sein. «Weil viele Führungskräfte auch am Abend oder am Wochenende erreichbar sind, leben sie den Arbeitnehmenden diese Arbeitsweise vor», sagt die Digitalexpertin.
Gemäss Genner erwarten Führungskräfte oftmals nicht, dass die Mitarbeitenden immer erreichbar sind. Dies müssten die Vorgesetzten, so die Expertin, aber ihren Mitarbeitenden gegenüber klar kommunizieren.
Das Recht auf Erholung
Was, wenn die Chefin oder der Chef doch in den Ferien anruft? «Der Grundsatz lautet, dass man während den Ferien nicht erreichbar sein muss», sagt Roger Rudolph, Professor für Arbeitsrecht an der Universität Zürich.
Die Erreichbarkeit in den Ferien ist zwar nicht explizit im Obligationenrecht geregelt. Aber ein Blick in die Ferienregelung genügt, sagt er: «Gemäss Gesetz hat man den Anspruch auf Ferien und aus dem Begriff Ferien erschliesst sich, dass man vom Arbeitgeber nicht gestört werden sollte.» Dazu kommt gemäss Rudolph die Fürsorgepflicht: «Sie besagt, dass Vorgesetzte Arbeitnehmende in den Ferien in Ruhe lassen müssen.»
Gemäss dem Arbeitsrechtsprofessor kann der Arbeitgeber in Notfällen Arbeitnehmende zurück an den Arbeitsplatz holen. Beispielsweise eine Chirurgin, die die Einzige ist, die eine spezifische Operation durchführen kann. «Dann muss der Arbeitgeber aber alle anfallenden Kosten erstatten, wie Hotelbuchungen, die verfallen, oder den Kauf eines neuen Flugs», sagt Rudolph. Das seien jedoch seltene Fälle.
Gesundheitliche Folgen
Sarah Genner betont, wie wichtig es ist, auch in den Ferien das Handy wegzulegen: «Wer immer erreichbar ist, kann sich nicht richtig erholen.» Das könne sogar gesundheitliche Folgen haben und beispielsweise zu einer mentalen Erschöpfung führen.
Sie empfiehlt darum, eine mögliche Stellvertretung bereits vor Ferienbeginn zu regeln, im E-Mailkonto eine Abwesenheitsmeldung einzurichten und jegliche Benachrichtigungen von Apps, die man für die Arbeit benötigt, zu deaktivieren.