Zur Jubiläumsausgabe schenkte das Gurtenfestival sich und allen musikbegeisterten Menschen einen zusätzlichen fünften Tag. Dies zahlte sich aus: 98'500 Eintritte verzeichnete man auf dem Berner Hausberg, ein neuer Publikumsrekord. Zum Start liess es Petrus aus dem Himmel krachen. Riesige Hagelkörner deckten den Berner Hausberg in ein winterliches Kleid. Doch ab Tag zwei war der Sommer zurück – es wurde geschwitzt, getanzt, gefeiert.
Mehr als 150 Acts brachten das Publikum in Stimmung. Konzerthighlight reihte sich an Konzerthighlight. Apache 207, Lil Nas X, Deichkind, Rosalía oder Lo & Leduc vor Heimpublikum, für Fans jeder Musiksparte war etwas dabei. Neben der deutschen Kult-Band Die Toten Hosen dürften viele am letzten Tag auch noch für ein Abschiedskonzert gekommen sein: Fettes Brot. Die Gruppe aus Hamburg feierte auf dem Gurten ihren letzten Auftritt in der Schweiz.
Rassistischer Vorfall überschattet Gurtenfestival
Weniger schön war leider, was sich abseits der Konzertbühnen abgespielt hat. Auf dem Gurten gab es einen Stand, wo man das Becherdepot dem «café révolution» spenden konnte. Das ist ein Kollektiv, das einen sicheren Ort für Menschen schafft, die von anti-schwarzem Rassismus betroffen sind.
Doch ausgerechnet wegen rassistischer Konfrontationen am Festival sah sich das Kollektiv am Freitag gezwungen, sich zurückzuziehen.
Wir sind schockiert. Wir wollen hier eigentlich einen Ort, an dem alle willkommen sind.
Das Gurtenfestival-OK unterstützt den Rückzugsentscheid. Aber: «Wir sind schockiert», so Festivalsprecherin Lena Fischer. Man wolle auf dem Gurten einen Ort, an dem alle willkommen sind und keine Diskriminierung toleriert werde.
«Rassistische Vorfälle zwangen sie zum Rückzug. Das beschäftigt uns sehr.» Die Veranstalterinnen und Veranstalter werden die Vorfälle aufarbeiten: «Wir nehmen das nicht einfach auf die leichte Schulter.»
Musikalische Highlights, die zu reden gaben
Die SRF-Musikredaktion hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Konzerte vom Gurtenfestival unter die Lupe zu nehmen – hier gibt es die fachmännische Bewertung der fünftägigen musikalischen Sause.
Mittwoch: Mit aufblasbarem Panzer, dicken Hits und einer äusserst billigen und aus der Zeit gefallenen Erotikshow, die vor Machismus nur so strotzte, begeisterte J Balvin das Gurten-Publikum. Irgendwie faszinierend (oder eher bedenklich?), wie hitzig geführte Gesellschaftsdiskussionen unter anderem über Rollenbilder im Festivalbetrieb grossflächig ausgeblendet werden können.
Donnerstag: Der heiss erwartete Auftritt der katalanischen Popgöttin Rosalía fegte alles weg. Mit ihrem motorisierten Reggaeton-Flamenco-Trap-Pop, ihrer gewaltigen und an Virtuosität kaum zu überbietenden Stimme rotzte sie einen vor Perfektion strotzenden Auftritt hin. Dass dabei sogar Pausen vor Energie zu platzen drohten, ergänzte die Performance mit der Unbeschreiblichkeit grosser Pop-Momente.
Freitag: Der US-Rapper, Sänger und Internet-Star Lil Nas X führte sein Musical am Freitagabend auf der Hauptbühne auf. Die Show war zu nah an Lion King und zu fern von einem Auftritt, der Lil Nas X’ explosiver Karriere gerecht würde. Nach Rosalías Feuerwerk am Vorabend wirkte das Tanztheater des Rappers wenig inspiriert.
Samstag: Kurz nach 22 Uhr sah es am Samstagabend vor der Waldbühne aus wie vor der Hauptbühne, wenn die Masse auf den Hauptact des Abends wartet. Das Gurten-Publikum wollte Nativ sehen. Zu Recht! Der Berner Rapper liess keine Fragen offen. Sein energiegeladener Auftritt war nicht weniger als ein hochqualifiziertes Bewerbungsschreiben für die Zeltbühne. Mindestens.
Sonntag: Fettes Brot sind auf Abschieds-Tour und sagten ihren Schweizer Fans am Sonntag auf dem Gurten «Tschüss». Der volle Gurten-Hang vor der Hauptbühne unterstrich die grosse Fangemeinde des Hamburger Trios. Es herrschte Fernsehgarten-Stimmung. Der Entscheid, das Buch Fettes Brot nach 30 Jahren zu schliessen, ist richtig. Bye Bye Fettes Brot und danke – es war eine schöne Zeit.
Nächster Halt des SRF 3 Festivalsommers: Stars in Town. Wir sind ab dem 2. August in Schaffhausen und bringen die Musik- und Festivalgeschichten via Radio, Instagram, Facebook und srf3.ch zu euch.