Höhepunkt: Gorillaz
Nur Minuten nach Englands WM-Aus, stand Damon Albarn mit seinen Gorillaz auf der Hauptbühne des Gurtenfestivals. Im England-Shirt, mit gebrochenem Fussball-Herz, spielte ein guter Verlierer und grosser Musiker ein grandioses Konzert. Bei solch einer Band im Rücken und diesem Publikum auf dem Gurten, kann sich auch ein geknickter Fussball-Fan ein zwischenzeitliches Glücksgrinsen nicht verkneifen. Gorillaz am Gurtenfestival 2018: UNSCHLAGBAR!
Tiefpunkt: 257ers
Um die Spass-Rapper 257ers mache ich seit jeher einen Bogen, wie um gestrandete Quallen. Was diese Ballermann-Party auf einer Festivalbühne verloren hat, wird sich mir nie erschliessen. Den Auftritt der Essener am Gurtenfestival mit Fusel zu bezeichnen, kommt dem Ansatz eines Kompliments wahrscheinlich näher als mir lieb ist. Okay, ich kann auch diplomatisch: 257ers? Nicht so mein Ding.
Glanzpunkt: Hecht
Hecht zementierten ihren Ruf als die zurzeit angesagteste Schweizer Liveband auf dem Gurten. Das Gelände vor der neuen Zeltbühne war rappelvoll und Frontmann Stefan Buck hätte es sich sogar leisten können, die Songs nur noch anzusagen: Die Hecht-Fans singen jedes Wort mit - vom Anfang bis zum Ende. Stark!
Pluspunkt: Jacob Banks
Wer am Donnerstag zwischen 15 und 16 Uhr nicht vor der Hauptbühne stand, und das waren viele, verpasste einen der wärmsten und souligsten Auftritte des diesjährigen Gurtenfestivals. Der Brite Jacob Banks und seine Band zeigten, wie ein Konzert klingt, wenn sich Routine, Coolness und Leidenschaft vereinen.
Extra-Punkt: Charlotte Cardin
Bevor die Kanadierin als Sängerin auf der Bühne stand, lief sie als Model über den Catwalk. Auch ihre Musik ist perfekt gestylt, klingt, wirkt und ist trotzdem natürlich. Sie beglückte das Gurtenfestival mit einer sauberen Ausstellung ihrer feinen Pop-Perlen.
Anziehungspunkt: Kraftklub
Um was geht es im Festivalbetrieb 2018? Die Antwort: Es geht darum, das Publikum auf die Bühne zu stellen. Die Stars von heute heissen Energie, Ekstase und kollektives Erlebnis. Eine Band, die das Bad im Publikum nicht sucht, hat verloren. Das ist der Zeitgeist und wenn es eine Band gibt, die das in Perfektion beherrscht, dann ist das Kraftklub.
Programmpunkt: Two Door Cinema Club
Makellos war der Auftritt von Two Door Cinema Club. Abgeklärt und druckvoll rasten die Nordiren durch ihr Repertoire. Eine perfekte Festival-Show einer perfekten Festival-Band. Für Magie braucht es mehr Risiko. Eine Show souverän abliefern, geht aber ganz genau so.
Farbpunkt: Aurora
Die norwegische Sängerin ist eine Erscheinung. Sie hat die bestechende Crazyness, welche man fast nur bei Künstlerinnen aus dem hohen Norden findet. Abgesehen davon kann sie auch singen, hat attraktive Songs im Gepäck und bringt diese mit vollem Körpereinsatz auf die Bühne.
Orientierungspunkt: Steff La Cheffe
Die Band: Top! Der Auftritt: Solid! Steff La Cheffe: Sympathisch und leicht orientierungslos! So war der Auftritt der Bernerin auf der Waldbühne des Gurtenfestivals. Irgendwie stand da noch ein ungebetenes Bandmitglied namens Unsicherheit mit auf der Bühne. Steff La Cheffe ist noch nicht wirklich zurück und braucht einen Plan. Ich hoffe, die talentierte Rapperin und Sängerin findet einen Weg, der sich für sie richtig gut anfühlt und der in Sachen Approach keine Fragen offenlässt.
Doppelpunkt: Tobias Carshey
Das SRF 3 Best Talent (Okt 2017) überzeugte auf der Waldbühne mit einem intensiven und engagierten Auftritt. Die Singer-Songwriter-Kunst des Zürchers ist keine leichte Kost. Trotzdem kriegt er es hin, dass sein Songmaterial niemandem allzu schwer aufliegt.
Superpunkt: Prophets Of Rage
Nicht jede Supergroup macht Sinn. Bei Prophets Of Rage kommen aber keine Zweifel auf: Dieser Zusammenzug ist ein Gewinn und knallt rein. So zündeten B-Real (Cypress Hill), Chuck D (Public Enemy) und Tom Morello (Rage Against The Machine) auf dem Gurten die perfekte Crossover-Kanone. Wer da war, war hin und weg.
Zusatzpunkt: Pablo Nouvelle
Die sphärischen Klangwände von Pablo Nouvelle passten perfekt in den späten Donnerstagabend des Gurtenfestivals. Das SRF 3 Best Talent (März 2016) sorgte für verträumte Klanglandschaften, baute diese gekonnt auf und stellte seine Skills beim Spiel mit der Dynamik unter Beweis.
Knackpunkt: alt-J
Keine andere Bands schreibt Songs, wie die futuristische Elektro-Pop-Band alt-J. So aussergewöhnlich und brillant ihr Songmaterial, so herausfordernd scheint die Hürde eines euphorisch gefeierten Festivalauftritts. Vielleicht spielt das aber auch gar keine Rolle, denn bei alt-J geht es nicht um die Band und deren Connection zum Publikum. Es geht ausschliesslich um die Songs und diese erreichten die Leute auf dem Gurten zweifelsohne.
Guter Punkt: Isaac Gracie
Ein bestechendes Konzert lieferte der 23-jährige Isaac Gracie. Der britische Singer-Songwriter überzeugte durch seine organischen Songs und begeisterte durch seine brüchige und doch kraftvolle Stimme. Keine musikalische Revolution. Aber eine Tradition, die gepflegt werden will und soll. Toll!
Streitpunkt: Kontra K
Die Karriere von Rapper Kontra K gehört in die Kiste «Karrieren, die Berlin schrieb». Vom Strassen-Rap in die Charts und somit auf die grossen Bühnen der Festivals. Kontra K rappt mit der ganzen Kraft seines gestählten Körpers. Zwischen den Zeilen passiert wenig bis nichts. Man feiert es - oder eben nicht. Hier geht es um Energie und unmissverständliche Ansagen. Diese Energie nahm das Gurten-Publikum vom ersten Ton an auf und schleuderte sie zurück auf die Bühne.
Wendepunkt: Stereo Luchs
Vor einer Woche trat der Zürcher Stereo Luchs am Openair Frauenfeld mit DJ auf. Auf dem Gurten kam er mit den Scrucialists als Backing-Band. Ich habe einen klaren Favoriten unter diesen Auftritten: Der fand auf dem Gurten statt. Nicht nur, weil die Scrucialists eine wirklich tolle Band sind. Unbedingt auch, weil Stereo Luchs mit dieser Band im Rücken eine ganz andere Präsenz hat.
Schlusspunkt: Cro
Der Stern vom Mann mit der Pandamaske sinkt. Er ist noch nicht abgestürzt. Aber er sinkt. Als letzter Act auf der Hauptbühne des Gurtenfestivals verbreitete er zwar gute Stimmung, vermochte aber nicht, das Gurtenpublikum aus der Reserve zu locken. Schade eigentlich. Seine Nummer war gut und durchdacht. Langweilt sich Cro etwa, ob seiner eigenen Kunstfigur? Ist er in ihr gefangen und fühlt sich eingeschränkt? Hat er Angst aus ihr auszubrechen? Ich weiss es nicht. Aber: Die Mystik des Pandas hat sich verabschiedet.