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Lausalarm! Die Kopflaus, das treuste Haustier der Schweiz

Keiner will sie, aber praktisch alle haben sie. Irgendwann im Laufe des Lebens. Kopfläuse sind ein Dauerbrenner in den Schulzimmern, auch 2021 noch. Eine Kampfansage:

«Liebe Eltern, wir haben die Mitteilung bekommen, dass wieder Läuse im Umlauf sind.» Nicht schon wieder, denke ich, als ich das Mail der Elternratsvertreterin lese. Echt jetzt? Und dann folgt das Standartprozedere. Mittel kaufen, Köpfe einschmieren. Und kämmen, kämmen, kämmen. Bis mir der Geduldsfaden reisst.

Wie kann es sein, dass wir diese Viecher nicht in den Griff bekommen?

Die Schulärztin «Kopfläuse sind clever»

«Wieso?» lacht Sabine Schmid, leitende Schulärztin der Stadt Zürich «weil sie clever sind».

Die Kopfläuse hätten sich perfekt an uns, ihren Wirten, angepasst. Zudem würden sie bei der feinsten Haarbewegung verschwinden. So habe man kaum eine Chance die Läuse im trockenen Haar zu entdecken. Und so würden immer irgendwelche Läuse trotz Behandlungsoffensive der Eltern immer irgendwo auf einem Kopf unerkannt überleben, heranwachsen und sich vermehren. Eine Laus legt in ihrem 3-4 Wochen langen Leben gegen 100 Lauseier. Halleluja.

Sabine Schmid, leitende Schulärztin der Stadt Zürich
Legende: Sabine Schmid, leitende Schulärztin der Stadt Zürich SRF

Clever sind sie also, diese Kopfläuse und vor allem lösen sie auch nicht bei allen eine Reaktion aus. Schätzungsweise ein Viertel der Kinder, die Läuse auf dem Kopf haben, zeigen keine Symptome. Sprich, sie juckt es nicht.

Der Parasitologe «Kopfläuse stärken unser Immunsystem»

Es gibt tausende von Laussorten. Aber nur eine hat es sich auf dem Kopf des Menschen bequem gemacht. Und wirklich nur auf dem Kopf des Menschen, wie mir Alexander Mathis, Professor für Parasitologie an der Universität Zürich, erklärt.

Der Mensch und die Kopflaus gehörten zusammen. Und zwar nicht erst seit ein paar hundert Jahren, sondern seit immer: «Alte Funde zeigen, bereits Urmenschen hatten Läuse.» Die Laus hat sich also stets mit dem Menschen weiterentwickelt. Sie ist ihrem Wirt, also uns, treu geblieben. Die Kopflaus, das treuste Haustier des Menschen, könnte man sagen. Auch wenn es keiner will.

Alexander Mathis ist Professor für Parasitologie an der Universität Zürich
Legende: Alexander Mathis ist Professor für Parasitologie an der Universität Zürich SRF

Auf einem Kopf findet sie alles, was sie zum Leben braucht. Wohlig warme Temperaturen und frisches Blut. «Läuse sind sehr standorttreu», erklärt Alexander Mathis, das mache sie für ihn als Biologe interessant.

Und für uns? Alexander Mathis überlegt einen Moment. Etwas Gutes habe die Kopflaus, so der Parasitologe, sie stärke das Immunsystem: «Wenn Kindern von Läusen gestochen werden, produzieren diese eine Immunantwort. Damit tragen Kopfläuse also dazu bei, dass das Immunsystem von Kindern reifen kann.» Deshalb seien auch praktisch alle Erwachsene vor massivem Lausbefall gefeit: «Denn Läuse können zwar auf den Köpfen von Erwachsenen überleben, aber eben wegen der Immunantwort gegen Speichelbestandteile können sie das Blut nur ungenügend verdauen und entsprechend nur kurz leben und sich damit kaum vermehren.»

Somit sind Läuse für Erwachsene also nur ein temporäres Problem. Endlich eine gute Nachricht.

Die Ethikerin «Respekt vor der Natur»

Immunsystem stärken. Das tönt immer gut. Und dass das Blut von Erwachsenen für Läuse nicht wirklich geniessbar ist, gefällt mir auch. Aber nur solange bis ich wieder stundenlang mit dem Kamm durch die Haare meiner Kinder kämmen muss. Ausrotten tönt in diesem Moment definitiv besser.

«Verständlich» findet, die Ethikerin Anna Deplazes-Zemp. Auch sie mag keine Läuse auf den Köpfen ihrer Kinder. Aber trotzdem lädt sie mich ein, die Perspektive zu wechseln. Sie findet nämlich, die Laus sei eine Chance: «Die Kopflaus zeigt uns, dass die Natur nicht nur wunderschöne und romantische Seiten hat. Sondern dass die Natur auch etwas ist, das uns manchmal im Weg steht und unangenehm ist.» Aber auch das gehöre zur Natur und Respekt vor der Natur bedeute, sich auch auf diese Seiten einzulassen.

Ethikerin Anna Deplazes-Zemp vor einem Bücherregal
Legende: Ethikerin Anna Deplazes-Zemp SRF

Wobei das nicht bedeuten müsse, dass ich die Läuse auf meinem Kopf aushalten müsse, sondern nur, dass ich ihnen mit einer anderen Haltung begegne. Mit etwas mehr Respekt und weniger dem Wunsch sie auszurotten, denn da stelle sie als Ethikerin sich die Frage:

«Was ist unsere Rolle in der Natur, von welcher wir Teil davon sind? Müssen wir alles möglichst zu unseren Gunsten (über)nutzen? Aus umweltethischer Perspektive würde ich sagen, das ist nicht unsere Rolle, sondern wir sollten uns integrieren.»

 Und so kämme ich beim nächsten Mal die Haare meiner Kinder nicht mit mehr Freude, nein, aber mit etwas mehr Gelassenheit. Es sind ja «nur» Kopfläuse. Gut fürs Immunsystem, seit jeher da und ein Zeichen für ein intaktes Sozialleben. Aber ein echt nerviges.

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