Es ist sozusagen der Autosalon der Musikindustrie. Am «Eurosonic Showcase Festival» präsentieren sich Jungtalente in Kellerbars oder auf den grossen Theaterbühnen von Groningen. Die versammelte Popmusikhoffnung Europas trifft sich im Januar jeweils für vier Tage in Holland.
Im Publikum stehen vornehmlich Konzert-Bookers, Leute aus Plattenfirmen und Musikmedien. Sie brauchen meist nur eine Handvoll Songs, um das Starpotenzial abzuwägen. Von den Besten kann man aber schon hier nicht genug kriegen und wünscht sich, die Kurzkonzerte dauerten ewig.
Dieses drei Acts gehören dazu:
Zaho de Sagazan – die nächste Dua Lipa
Morgen ist sie ein Superstar, versprochen! Zaho de Sagazan macht nicht nur die französische Chanson-Tradition zukunftstauglich, sie tanzt mit einem sonderbaren Wahnsinn in der Brust und zelebriert eine neue Form von melodramatischem Pop. Eine Besessene.
Sie kennt keine Scham in ihren Verrenkungen und singt wie ein Engel, flankiert von zwei Musikern an Modular Synthesizern. Der barocke Theatersaal in Groningen kocht über. Kein Wunder, dass sie am «Eurosonic» gleich mehrere Preise absahnt. Das alles sind aber wohl nur Zwischenstationen auf ihrem Weg nach oben.
Loverman – Kraft der Verletzlichkeit
Er sitzt mit Gitarre auf einem Schaukelpferd in der Luther-Kirche von Groningen. Geschminkt mit Backenrouge. Ein junger Mann mit der Aura eines uralten Stummfilmstars. Mit dem ersten Anschlag der Saiten endet das Geplapper des Publikums. Dann beginnt er zu singen.
Die Geister von Leonard Cohen, Nick Drake und Lee Hazlewood fliegen durch das Gebälk der Empore. Niemand feiert die Kraft der Verletzlichkeit am «Eurosonic» besser als Loverman.
Sarah Julia – Sirenen der Zukunft
Ihre Fanbase explodiert gerade. Vor ein paar Tagen erschien ihre erste Single: «Cairngorms» – eine Erinnerung an Spaziergänge mit ihrem Vater durch die schottischen Highlands. Zu Hause in Amsterdam zusammengesetzt zu einem seidenfeinen Folk-Pop-Song.
Die namensgebenden Schwestern Sarah und Julia und ihre grossartige Band gehen aber nicht nur wegen ihres Heimvorteiles in Holland durch die Decke. Die Gesangsharmonien und die Songs der Mittzwanziger sind schlicht zu ergreifend, um nicht weltberühmt zu werden.
Und die Schweizer Acts?
In Groningen spielen auch immer aufstrebende Schweizer Acts am «Eurosonic». Dieses Jahr waren unter anderem die SRF 3 Best Talents Leila (Bern), Annie Taylor (Zürich) und Caroline Alves (Biel; Jahressiegerin 2021) dabei, sowie die Indie-Acts Batbait (Zürich), Monte Mai (Lugano), Crème Solaire (Fribourg) oder Bound By Endogamy (Genf). Überzeugt haben sie alle auf ihre Weise und mit ihren Auftritten Türen ins Ausland aufgestossen.
Besonders überzeugt haben Bound By Endogamy. Sie haben einen vollen Konzertsaal mit ihrem Industrial-Punk angesteckt. Ihre Show ist mehr als nur Konzert, das ist ein rituelles Work-out.