Über sieben Jahre sind seit der letzten Platte und dem Tod von Frontmann Chester Bennington vergangen. Interessieren sich die Leute nach so langer Zeit und ohne die ikonische Stimme überhaupt noch für Linkin Park?
Die Comeback-Single «The Emptiness Machine» neu mit Emily Armstrong am Mic steigt gleich in ihre zehnte Woche in der Schweizer Hitparade ein, fünf davon verbrachte sie an der Spitze. In den Charts anderer Länder sieht’s ähnlich aus. Die Tickets für die gerade laufende und lediglich zehn Shows umfassende Arenatour waren in weniger als einer Stunde weg.
Kurz: Ja, die Leute interessieren sich noch für Linkin Park. Nach dieser langen Pause wohl umso mehr. Und mit «From Zero» reicht das Alternative-Rock-Sextett nun ein Album nach, das dem riesigen Interesse und vielen der kilometerhohen Erwartungen gerecht wird.
Wer ist die Neue – und wie klingt sie?
Nachdem Dead-Sara-Sängerin Emily Armstrong Anfang September als neue Frontfrau vorgestellt wurde (Colin Brittain sitzt zudem neu an den Drums), wurde die 38-Jährige erst mal durch den Kritik-Fleischwolf gedreht. Ihr wurden Verbindungen zur kontroversen Scientology-Kirche nachgesagt, ausserdem sei sie mit dem Schauspieler und verurteilten Vergewaltiger Danny Masterson befreundet. Ersteres liess sie unkommentiert, von Letzterem distanzierte sie sich in einem Statement.
Thema so weit abgehakt. Jetzt zum fürs Review wichtigeren Punkt: diese Stimme! Armstrong soll Bennington nicht ersetzen, klar. Kann sie nicht, will sie auch nicht. Trotzdem braucht sie den Vergleich nicht zu scheuen und demonstriert auf der Platte eine beeindruckende Bandbreite von glasklarem Gesang bis zu markerschütterndem Growling – manchmal sogar im selben Song. Wie bei «Overflow», das mit seinem reduzierten Tempo und wabernden Dub so gar nicht zum Rest passen mag.
Die Wurzeln bleiben spür- und hörbar
«From Zero» prescht von Anfang an nach vorne und nimmt den Fuss selten vom Gas- und Effektpedal. Damit ist es locker das härteste Linkin-Park-Werk seit dem 2007er «Minutes to Midnight» und dem Track «Casualty»: Wohl der heftigste überhaupt des kalifornischen Sechsers – so heftig, dass dabei leider der Song selbst auf der Strecke geblieben ist.
Immer wieder besinnt sich die Band auf den Nu-Metal der ersten beiden Platten, was ihr gut steht. (Unmöglich, bei «Two Faced» nicht sofort ans grossartige Riff von «One Step Closer» zu denken). Nicht nur, weil die 2000er sich gerade anhaltender Beliebtheit erfreuen, sondern auch, weil sie damit zeigt, dass sie trotz neuer Stimme ihre Wurzeln nicht vergessen hat, sondern feiert. Ein brachiales Beispiel dafür: «IGYEIH».
Poppiger Rock für Stadien
«Heavy Is the Crown» hingegen ist ein Stadion-Banger, der auch Bring Me the Horizon gut stehen würde – etwas platte Lyrics inklusive. «Stained» und «Over Each Other» sind Pomp-Pop ohne die Überpolitur vom Longplay-Vorgänger «One More Light».
Der Closer «Good Things Go» klingt gar nach Thirty Seconds to Mars featuring Nickelback, aber wer stark startet, darf gegen Ende auch mal stolpern. Und wer seit 25 Jahren ganz vorne im Rock mit drischt, kann unmöglich jedem Geschmack gerecht werden, das wäre ja auch gar konform. Und das sind Linkin Park mit diesem Album auf jeden Fall nicht (mehr).