Heisse Trockenperioden, starke Regenfälle und Gewitterstürme haben das Tessin seit jeher heimgesucht. Diese Tatsache widerspiegelt sich im reichen Sagenschatz des Kantons.
Die Natur als Gefahr ist in Tessiner Sagen ein grosses Thema.
Bei drohenden Naturkatastrophen erhören nicht selten Heilige die Stossgebete der in Not geratenen Bevölkerung. Rund um Locarno ist es die Madonna del Sasso, welche mit der gleich benannten Wallfahrtskirche geehrt wird, die über der Stadt thront. Die Heilige rettet Fischer aus Gewitterstürmen, oder ist zur Stelle, wenn ein Felssturz droht.
«Die Natur als Gefahr ist in Tessiner Sagen ein grosses Thema», beobachtet Michael Schwarzenbach, der Sagen aus dem ganzen Kanton zusammengetragen hat. Doch auch die Schönheit der Berge, das Bezaubernde der Seen und Täler komme in den Geschichten immer wieder zum Tragen.
Zweitsprache als Geschenk
Die Geschichten, die früher in diversen regionalen Tessiner Dialekten erzählt wurden, hat er nun auf Schweizerdeutsch übersetzt.
Meine Eltern haben mir eine zweite Sprache geschenkt.
Michael Schwarzenbachs Muttersprache ist Italienisch, die Schweizer Mundart seine zweite sprachliche Heimat. Seine Eltern seien von Bern ins Tessin gezogen und hätten dort konsequent Deutsch mit ihm gesprochen.
«So haben sie mir eine zweite Sprache geschenkt», freut sich der Tessiner. Die deutsche Sprache hat sich Michael Schwarzenbach schliesslich zum Beruf gemacht. Der 43-Jährige ist heute Deutsch-Lehrer am Gymnasium von Locarno.
Tessiner Geschichtenerzählerinnen
Bei seinen Recherchen hat Michael Schwarzenbach herausgefunden, dass es vor allem den Tessinerinnen zu verdanken ist, dass viele Sagen weitererzählt und aufgeschrieben wurden. Während sich die Männer oft auf Arbeitssuche in der Fremde aufhielten, waren es häufig Frauen, die nach der schweren Arbeit auf dem Feld am abendlichen Kaminfeuer Geschichten erzählten und diese später als Autorinnen auch schriftlich festhielten.