Eine braune Lederjacke ragt aus einem riesigen Berg von Textilabfällen hervor. Sie hat ihr Produktleben hinter sich und verrottet auf einer illegalen Abfalldeponie in Ghanas Hauptstadt Accra.
Die Jacke steht symbolisch für ein Modesystem, das längst ausser Kontrolle geraten ist. Hier ist die Endstation der globalen Fast-Fashion-Industrie.
Der genaue Weg der Jacke kann nicht zurückverfolgt werden, aber sie stammt vermutlich aus dem Globalen Norden, aus Altkleidersammlungen in Europa oder Nordamerika, die von ghanaischen Händlern importiert wurden.
Der Kantamanto Markt – das Herz des Secondhand-Handels
Mitten in Accra liegt der Kantamanto Markt, der grösste Secondhandkleidermarkt Westafrikas.
Zwischen den eng aneinander liegenden Marktständen und dem lauten Getümmel, findet man hier alles: von zerfetzten Jeans über gefälschte Markentaschen, bis zu Designerstücken.
Jede Woche kommen Schiffscontainer mit 15 Millionen Kleidungsstücken in Accra an. Sie werden importiert von ghanaischen Kleiderhändlern wie Bernard Onwona. Der grinsende Mann mit goldener Kette um den Hals erklärt, dass er vom Kleiderimport gut leben kann.
Bernard Onwona importiert Neuware aus China, da diese billiger ist als Secondhandkleidung aus Europa.
«Ein Container aus China kostet mich etwa 30'000 Dollar, ein Container mit gebrauchter Kleidung aus Europa dagegen 65'000 Euro», so Onwona – also rund 72'000 Dollar. Billigware aus China verdrängt die Secondhandkleidung immer mehr.
Khalifina, eine Modedesignerin aus Accra, gehört zu den Stammkundinnen des Kantamanto Markts. Mehrmals die Woche steht sie vor Sonnenaufgang auf, um im chaotischen Morgenverkehr Accras mit dem Trotro, einem Minibus, zum Markt zu gelangen.
Hier sucht sie nach den besten Secondhandstücken. Doch nicht immer hat sie Glück. Zwischen den Haufen liegen oft kaputte oder verschmutzte Kleidungsstücke.
Ein Trikot eines amerikanischen Basketballteams, das ihr gefallen würde, lässt sie liegen, weil Flecken es unbrauchbar machen. «Qualität ist mir wichtig», sagt die 24-Jährige. «Meine Kundinnen und ich wollen die Kleidung lange tragen.»
Khalifina gibt den gekauften Stücken ein neues Leben, indem sie sie upcycelt, verändert und weiterverkauft.
Illegale Abfallberge in Accra
Rund 40 Prozent der importierten Kleidung auf dem Kantamanto Markt ist unbrauchbar, wie diverse nationale und internationale Medien berichten. Ein Grossteil dieses textilen Abfalls landet in Old Fadama, Accras grösstem Slum, auf einem illegalen Abfallberg.
Zwischen Plastikflaschen und Essensresten finden sich immer wieder Stofffetzen, die den Boden bedecken.
David Kwabena Akpablie, ein junger Umweltstudent, watet in Gummistiefeln durch den Abfall, nahe einer Lagune, um Wasserproben zu nehmen. Das Wasser ist braun verfärbt, der Gestank in der Luft beissend, und der Rauch des brennenden Abfalls reizt die Augen.
David arbeitet für die NGO OR Foundation, die nach Lösungen für die Altkleiderproblematik in Accra sucht. Mit seinem Team analysiert er die verschmutzte Lagune auf Mikrofasern und Mikroplastik.
Die Ergebnisse zeigen: Das Mikroplastik stammt von den Textilien auf den Abfallbergen. Laut der Weltnaturschutzunion (IUCN) machen Textilien 35 Prozent des Mikroplastiks in den Weltmeeren aus.
Obwohl David die Abfallberge in Old Fadama schon mehrmals gesehen hat, erschüttern ihn die Anblicke der Menschen und Tiere, die inmitten des Abfalls leben, jedes Mal aufs Neue.
«Der Globale Norden muss seine Textilproduktion reduzieren, um diese Umweltkatastrophe zu stoppen», fordert er.
Um das Abfallproblem in Accra zu lösen, drängt David aber auch auf ein stärkeres Engagement der ghanaischen Regierung. Eine Infrastruktur für die nachhaltige Entsorgung von Textilabfall gibt es bisher nicht.
SRF fragte bei der Stadtregierung Accras nach, welche Lösung sie für das Altkleiderproblem sehe. Die Anfrage blieb unbeantwortet. Vergangenes Jahr wollte die Regierung den Import von Secondhandkleidern verbieten.
Doch die Händler und Importeure haben sich gewehrt. Zu viele Jobs hängen von diesem teils lukrativen Geschäft ab. Das Verbot war schnell wieder vom Tisch.
Steigender Kleiderkonsum
Dass die braune Lederjacke, welche in Old Fadamas Abfallberg vor sich hin verrottet, aus einem Schweizer Kleiderschrank stammt, ist eher unwahrscheinlich. Der grösste Altkleidersammler der Schweiz, Texaid, exportiert kaum noch Secondhandkleidung nach Ghana.
Jedoch dürfte auch der Schweizer Kleiderkonsum globale Folgen haben. Schweizerinnen und Schweizer kaufen durchschnittlich 60 neue Kleidungsstücke pro Jahr. In deren Kleiderschränken hängen durchschnittlich 118 Kleidungsstücke pro Person.
Rund 40 Prozent davon werden laut WWF Schweiz nie oder nur wenige Male getragen. Das führt dazu, dass die Kleiderschränke regelmässig ausgemistet werden. Im Oktober und November werden laut Texaid die meisten Kleidersäcke in die Altkleidersammlung geworfen.
Im Durchschnitt geben die Schweizerinnen und Schweizer laut Bundesamt für Umwelt (Bafu) pro Jahr 6.3 Kilogramm Kleidung in die Altkleidersammlungen. Jährlich werden in der Schweiz über 50'000 Tonnen Kleider und Textilien entsorgt, davon rund 32'000 Tonnen in den Sammelcontainern von Texaid.
Kreislaufwirtschaft als Lösung?
Während das Problem des Textilabfalls in Ghana wächst, setzt man in der Schweiz immer mehr auf innovative Lösungen.
In Zürich beispielsweise entsteht auf dem ehemaligen Gelände der Kehrichtverwertungsanlage (KVA) an der Josefstrasse das Projekt «Josy», das die Prinzipien der Kreislaufwirtschaft in den Mittelpunkt stellt: Tauschen, ausleihen und reparieren statt kaufen und wegwerfen.
Verschiedene Anbieter sollen nachhaltige Alternativen bieten. Entsorgung und Recycling Zürich hofft, dass auch Akteure der Textilbranche ihre Kreislaufansätze öffentlich teilen, denn die Modeindustrie produzierte beträchtliche Abfallmengen.
Das vierjährige Projekt soll mit 5.4 Millionen Franken vom Stadtrat unterstützt werden, wobei der Gemeinderat noch zustimmen muss. Ein solches Projekt könnte verhindern, dass eine braune Lederjacke, wie jene auf einem Abfallberg in Ghana, den weiten Weg dorthin zurücklegt, nur um zu verrotten.
Stattdessen könnte sie im eigenen Land einen neuen Besitzer finden – ganz im Sinne der Kreislaufwirtschaft.