Als Loredana Galeoto ihrem Mann eröffnete, dass sie die Scheidung wolle, sticht er sie mit einem Messer nieder. Nur knapp entgeht sie dem Tod. Nach der Attacke ist sie gelähmt.
Eine Tat mit Ansage
27 Jahre lang hat ihr Mann sie gedemütigt, geschlagen und mit dem Tod bedroht. Im Verlauf der Ehe, in der sie zwei Töchter bekam, zeigte sie ihren Partner zweimal an. Er kam jeweils 24 Stunden in Haft, bekam ein Kontaktverbot, an das er sich nicht hielt. Galeoto gibt auf, weil sie glaubt, nur so ihre Kinder schützen zu können.
Eskalation im Sommer 2018
In den Sommerferien 2018 eskaliert die Situation: Ihr Mann kontrolliert sie, ist eifersüchtig und sperrt sie zu Hause ein. Erst als ihre Töchter sie ermutigten, zu gehen, wagt sie den Schritt. Sie ahnt: Es ist hochriskant. Der gefährlichste Zeitpunkt in einer Beziehung ist, wenn sich eine Frau von ihrem Mann trennen will. Das erklärt Nora Markwalder, Professorin für Strafrecht und Kriminologie.
Galeoto erstattete zum dritten Mal Anzeige. Ihr Mann bekommt wieder ein Annäherungsverbot, das er jedoch erneut missachtet.
Was sind das für Männer?
Kränkbarkeit, Eifersucht, Narzissmus und Kontrollwahn: Das haben die Täter gemeinsam. Der forensische Psychiater Marc Graf hat zahlreiche Femizidtäter untersucht. Er beschreibt sie als eher unsichere Männer, die aber oft selbstbewusst aufträten und sich gerne mit Statussymbolen umgeben. Sie verfügten jedoch über wenig bis keine Kompetenzen, Konflikte zu lösen.
Als Loredana Galeoto die Scheidung einreicht, beginnt ihr Mann sie massiv zu stalken. Das sei ein ultimatives Warnsignal, sagt Marc Graf. Wenn Täter das Annäherungsverbot ritzen, versuchen, das System auszureizen und zu stalken beginnen, seien das hochgefährliche Risikofaktoren.
Auch Hass spielt eine zentrale Rolle. Denn Hass legitimiere eine Tat in den Augen des Täters, erklärt Experte Marc Graf. In der Logik der Täter heisst das: Ich darf es nicht nur tun, ich bin geradezu verpflichtet, es zu tun, weil sich die andere Person in seinen Augen falsch verhält.
Patriarchales Weltbild
Männer mit patriarchalem Hintergrund neigen öfter dazu, Täter zu werden. Durch traditionelle Geschlechterhierarchien können sie sich legitimiert sehen, Macht über die Frau auszuüben.
Sie wähnen sich im Recht, eine Frau zu bestrafen, wenn sie seine Regeln oder traditionelle Rollenbilder hinterfragt oder verletzt. Im Vergleich zur gesamten Bevölkerung in der Schweiz sind Täter aus patriarchalen Kulturen überrepräsentiert.
Auswege aus der Gewaltspirale
Sucht ein Mann den Ausweg aus der Gewaltspirale, findet er viele Angebote. Seit langem existiert beispielsweise das «Lernprogramm Partnerschaft ohne Gewalt». Sebastian F. (Name geändert) hat sich aus eigenem Antrieb Hilfe bei der Anlaufstelle gegen häusliche Gewalt in Aarau geholt.
Das Programm hat ihm geholfen, sich mit der Gewalt, die er gegenüber seiner Freundin ausgeübt hat, auseinanderzusetzen. Es gehe vor allem darum, Verantwortung für die Taten zu übernehmen. Das sei ein harter Prozess, sagt er. Er rät dringend dazu, sich professionelle Hilfe zu holen und die Hilfe, die einem geboten werde, anzunehmen.
Nur jedes zwanzigste Delikt häuslicher Gewalt wird angezeigt
Für die damals 24-jährige Lena K. (Name geändert) war die Todesdrohung ihres Partners ein Weckruf. Sie wusste: Wenn sie jetzt nicht flieht, wird ihr Partner sie töten.
Ähnlich wie Loredana Galeoto hinderten auch sie Scham, Angst und Abhängigkeiten daran, Anzeige zu erstatten. So geht es vielen Frauen, die Gewalt erleben. In der Schweiz werden pro Jahr 20'000 Anzeigen wegen häuslicher Gewalt erfasst.
Das ist allerdings nur ein Bruchteil der tatsächlichen Ereignisse, denn nur gerade jedes zwanzigste Delikt werde angezeigt, sagt Kriminologin Nora Markwalder.
Wenn Gewalt im Verborgenen stattfindet, schützt das den Täter, denn er kann einfach weitermachen. Erst als Lena K. ihre Eltern einweihte, konnte sie ihn mit deren Unterstützung anzeigen. Ihr Freund wurde verhaftet. Als er wieder freikam, hatte Lena K. Todesangst. In Panik will sie die Anzeige zurückziehen.
Doch eine Anzeige zurückzuziehen, ist nicht einfach. Die Staatsanwaltschaft darf einen Fall nur einstellen, wenn es zu einer Stabilisierung der Opfersituation gekommen ist.
Bis zum Prozess muss sie zwei Jahre warten. Lena K. erleidet eine posttraumatische Belastungsstörung und muss in stationäre psychologische Behandlung.
Kinder sind häufig mitbetroffen
Louise Hill harrte jahrelang in einer Gewaltbeziehung aus. Ihr Mann genoss im Dorf hohes Ansehen. Doch in den eigenen vier Wänden erniedrigt und schlägt er seine Frau und droht, sie und die drei Kinder umzubringen.
Es gab aber auch Momente der Fürsorge und Zärtlichkeit. Diese ambivalente Erfahrung hat die Kinder geprägt. Rachel, die Älteste, zog sich ganz in sich selbst zurück.
Eine solche tiefgreifende Erfahrung erschwert die Entwicklung der Kinder und prägt sie für das ganze Leben, sagt Graf. Sie übernehmen fatale Muster, die sogar über Generationen hinweg weitergegeben werden können. «Opfer von Gewalt in einer Familie, sei es durch sexuelle Übergriffigkeit oder Gewalttätigkeit durch den Vater, können auch wieder zum Täter werden», führt der forensische Psychiater aus.
Was können wir gegen Femizide tun?
Tötungsdelikte an Frauen sind ein gesamtgesellschaftliches und strukturelles Problem. Prävention muss deshalb möglichst früh beginnen. Schon im Kindergarten sollen traditionelle Rollenbilder hinterfragt werden und die Gleichstellung in der Gesellschaft vorangetrieben werden. Das betont auch Regina Carstensen von der Zürcher Interventionsstelle gegen häusliche Gewalt.
Wenn der Freundeskreis oder die Nachbarschaft von häuslicher Gewalt erfährt, ist es wichtig, das Opfer zu unterstützen. Sie vielleicht zu einer Opferhilfestelle zu begleiten oder die Polizei zu rufen.
Allerdings müssen auch Polizei, Staatsanwaltschaft und Gerichte noch mehr sensibilisiert werden und verhindern, dass Opfer nicht wie Täter behandelt werden. Zum Beispiel ist die wiederholte Frage, weshalb eine Frau so lange bei ihrem gewalttätigen Partner geblieben sei, eine grosse Belastung für die Opfer. Der Täter muss zur Rechenschaft gezogen werden. Denn Täterarbeit ist der beste Opferschutz.