Es hört sich an wie ein Krimi: Im Bündnerland wohnt einer der reichsten Russen, dessen Vermögenswerte jetzt gesucht werden müssen. Er steht im Verdacht, den Krieg in der Ukraine mitzufinanzieren. Doch die Schweizer Behörden tappen im Dunkeln und der Milliardär ist längst über alle Berge.
Sanktionierter Oligarch von St. Moritz
Der russische Oligarch Andrey Melnichenko ist Kohleunternehmer und einer der grössten Düngemittelproduzenten weltweit. Er hat ein geschätztes Vermögen von 15 Milliarden Dollar. Darum muss er nun fürchten, denn seit dem 9. März 2022 steht er auf der EU-Sanktionsliste. Melnichenkos Hauptwohnsitz ist im Kanton Graubünden. Er gehört zu den rund 100 Pauschalbesteuerten der Gemeinde St. Moritz.
Melnichenkos Villa ist «eingefroren»
Der Gemeindepräsident von St. Moritz, Christian Jott Jenny, will sich nicht zum Fall äussern. Auch nicht dazu, ob die Sanktionsbestimmungen allfällige Konsequenzen für die Gemeinde haben. Tatsache ist: Am 16. März wird Melnichenkos Millionen-Villa am Suvretta-Hügel sogenannt «eingefroren».
Am Tag der Übernahme der EU-Sanktionsliste hat das Bündner Grundbuchamt das Objekt in Bern gemeldet. Ab sofort wird die Sanktionsbehörde über die Liegenschaft in St. Moritz entscheiden. So weit, so gut.
Bündner Steuerbehörde ist verunsichert
Weit komplizierter ist es beim Steuervermögen. Zwar werden die Banken bei der Sanktionsbehörde Melnichenkos Gelder melden, weil bei Verstoss internationaler Compliance-Regeln hohe Strafen drohen. Doch die Bündner Steuerbehörde zweifelt, ob allfällig zusätzliche Steuervermögen, wie zum Beispiel eine Diamantensammlung, der Sanktionsbehörde gemeldet werden müssen.
In Abwägung mit der Verordnung kommen wir zum Schluss, dass wir vom Seco nicht angesprochen sind.
«Wir halten uns klar an die Sanktionsverordnung», sagt Toni Hess, Leiter Rechtsdienst der kantonalen Steuerbehörde. «Doch in Abwägung mit der Verordnung kommen wir zum Schluss, dass wir vom Seco nicht angesprochen sind», sagt er.
Sanktionsbehörde Seco informiert unklar
Auf mehrmaliges Nachfragen von SRF stellt sich heraus, dass das Seco dies etwas anders sieht. Die Sanktionsbehörde schreibt: «Die Steuerbehörden sind je nach Fall zuständig.»
Das heisst: Die Steuerbehörden müssen auf eigene Faust entscheiden, ob sie das Risiko eingehen wollen, das Steuergeheimnis zu verletzen oder allenfalls die Sanktionsverordnung zu umgehen. Das Seco bleibt eine klare Ansage schuldig.
Melnichenko schweigt zu Aktienverkauf
Unternehmer Andrey Melnichenko hat am Tag des EU-Sanktionsentscheids die Mehrheit der Aktien seiner in der Schweiz domizilierten Firmen verkauft. Eine Woche bevor er auf der Schweizer Sanktionsliste landete. Der Unternehmer hat die Aktien abgestossen, um als Sanktionierter den Fortbestand seiner Firmen nicht zu gefährden.
An wen der Russe die Aktien verkauft hat, ist unklar. Genauso unklar ist, wo sich das Geld aus dem Aktienerlös befindet. Auf konkrete Fragen schweigt sein Mediensprecher. Ein «public disclosure» stehe noch aus.
Zuger Finanzdirektor: «Ich bin kein Detektiv»
Melnichenkos Düngemittelfirma Eurochem hat ihren Hauptsitz in Zug. Ebenso in Zug gemeldet ist seine andere Firma Suek. Von den Aktienverkäufen des sanktionieren Oligarchen hat der Zuger Finanzdirektor keine Kenntnis. Auch nicht, wer die neuen Besitzer sind und ob alles rechtens abgelaufen ist beim Verkauf.
Finanzdirektor Heinz Tännler sagt: «Ich muss nicht alles recherchieren und wie ein Detektiv der Sache auf den Grund gehen.» Er halte sich an die Gesetze.
Sanktionsbehörde weist Verantwortung von sich
Konfrontiert mit den Fragen zum Aktienverkauf, sagt die Sanktionsbehörde Seco: «Das Embargogesetz bietet keine Rechtsgrundlage, um Informationen zu Sachverhalten einzuverlangen, welche vor dem Erlass der entsprechenden Verordnung passiert sind. Erhält das Seco oder andere Bundesstellen Hinweise darauf, dass ein Unternehmen von einer sanktionierten Person kontrolliert wird, so wird diesen selbstverständlich nachgegangen.»
Konkrete Fragen zu Melnichenkos Firmen Eurochem und Suek hat das Seco nicht beantwortet und folgenden Hinweis erteilt: «Am besten wenden Sie sich hierfür an die entsprechenden Unternehmen.»
Mark Pieth kritisiert das Seco
Der Geldwäschereiexperte Mark Pieth zweifelt daran, dass das Seco an einem ernsthaften Vollzug der Sanktionen interessiert ist.
Allein die Tatsache, dass die Schweizer Behörde eine Woche brauche, um Sanktionen der EU zu übernehmen, lasse Ungutes vermuten: «Das ist enorm schädlich für den Ruf der Schweiz und vielleicht gar schlimmer: Eine Taktik, die es gewissen Leuten ermöglichen soll, ihr Geld ins Trockene zu bringen.»