Die Geburt von Matthäus Schiner wurde im Goms erst ein Thema, nachdem dieser Walliser fast Papst wurde. Das war vor 500 Jahren. Dass es einer von ihnen an die Spitze der katholischen Weltkirche schafft, beweise, dass Übermenschliches im Spiel sei, sagt mir Präfekt Herbert Volken heute. Verklärung als Erklärung für die Tellerwäscherkarriere von Matthäus Schiner.
Schiner kommt 1465 – am Tag des heiligen Matthäus – leblos zur Welt. Das genaue Datum kennt keiner. Aber es muss der 21. September gewesen sein: Matthäi. Er atmet nicht. Er schreit nicht. Die Hebamme, die nach Mühlebach gerufen wird, gibt ihn auf.
Ohne den Onkel, der bei der Geburt dabeisteht, wäre das Kind nie zum Leben erwacht. Onkel Nikolaus Schiner, der bald Bischof in Sitten wird, beugt sich über das leblose Geschöpf und bläst ihm Pfeifenrauch ins Gesicht. Matthäus beginnt sich zu regen. Matthäus schreit. Ein Genie wird zum Leben erweckt. Seinen ersten Atemzug tut Matthäus Schiner erst, als ihm beissender Hanfrauch des Geistlichen in die Lungen dringt. Matthäi am Letzten.
So verklärt man mir im Goms die Geburt Schiners. Aber erst, als Matthäus in aller Welt in aller Munde ist. Keiner der Fabulierer war ja dabei. Aber es konnte sich nicht anders zugetragen haben. Ein Fast-Papst tritt nicht einfach so, sozusagen durch die Hintertür, auf die Weltbühne.
Der Kampf um dieses Leben macht ihn stark wie ein paar Dutzend Schlachtrosse zusammen. Von Gestalt klein und fein. Sein Geist wach und überlegen. Und diese Überlegenheit muss er vor sich hertragen wie eine Monstranz.
Einer der grössten Machtmenschen der Schweiz
Sein Onkel lernt ihn Lesen und Schreiben, entdeckt seinen Willen zur Frömmigkeit, macht aus Matthäus einen Geistlichen. Der fegt wie ein Derwisch durchs Goms. Bei seinem Galopp Richtung Bischofssitz in Sion klopft er bei den prächtigsten Häusern gar nicht mehr an, verlangt, was des Bischofs ist und noch mehr. Ist er einmal drin, steckt er die Schlüssel gleich mit ein und nennt so in jedem Dorf das schönste Haus sein eigen.
Schiner pendelt zwischen Sion und Rom. Dem Papst stellt er eine Armee zusammen.
Er wirbt Tausende eidgenössische Söldner an. Ein Dutzend Schlachten führt der Kardinal als General. Ein Gottesmann mit Kreuz und Schwert. Berserker auf jedem europäischen Schlachtfeld. Teuflisch schickt er vom hohen Ross herunter junge Schweizer in den Tod. Gegen andere Schweizer, die im Dienst anderer Herren metzeln. Oft Innerschweizer gegen Zürcher, Walliser gegen Walliser, Gommer gegen Gommer. Solche von Münster gegen solche von Ernen.
Das Schlachtross des Papstes
Bis zur ganz grossen Niederlage in Marignano. Am 14. September 1515. Auf dem Schlachtfeld vor Mailand liegen 20‘000 Tote. Die meisten Eidgenossen. Junge Schweizer, Haudegen, aber meist doch arbeitslose Bauernsöhne.
Schiner hält noch schnell eine Aufmunterungspredigt vor dem Gemetzel: 12‘000 Jahre Fegefeuer bleibe jenen erspart, welche sich in die Schlacht werfen und sterben. Was dann ja gar nicht so schlimm ist: Sie bekommen einen Sitzplatz im Himmel und sind dabei, wenn sich die Muslimen-Märtyrer mit ihren 72 Jungfrauen vergnügen.
Die Totenglocken von Marignano
Die Totenglocken von Marignano läuten das Ende der eidgenössischen Grossmachtpolitik ein. Die Tagsatzung, sozusagen die schweizerische Regierung, verbietet die Reisläuferei. Was wir heute als immerwährende Neutralität kennen, wird eidgenössischer Mythos. Aber Schiner darf sich im Wallis nicht mehr sehen lassen. Und in Rom bekommt der Kardinal aus der Schweiz nur gerade zwei Stimmen zu wenig, sonst wäre er Papst geworden. Mit 57 Jahren stirbt Matthäus Schiner im Vatikan an der Pest – oder an der Syphilis.
Jetzt, 500 Jahre später, will der CVP-Politiker und Präfekt im Goms, Herbert Volken, den Kardinal, oder was von ihm übrig geblieben ist, ausgraben. In Ernen will er ein Mausoleum für Schiner bauen. Der Vatikan hat dem Walliser während unseren letzten Drehtagen die Bewilligung für die Probebohrung gegeben.
Das Mausoleum zu Ernen
Aber da gibt es noch ein gröberes Problem: Im selben Grab liegt Papst Hadrian. Der ist zwei Jahre nach dem Kardinal gestorben. Im Lauf der Jahrhunderte sind die sterblichen Überreste der beiden wohl durcheinander geraten. Und es darf natürlich nicht passieren, dass ein falscher Knochen ins Wallis kommt. Das würden die katholischen Patrioten nicht ertragen. Denn Hadrian ist mehr als ein Üsserschwiizer, Hadrian war Deutscher.
Nun kommen die Gerichtsmediziner zum Zug. Eine DNA-Analyse der Gebeine. Hat Matthäus Schiner noch als Kardinal nicht drei Töchter gezeugt? Da ist wohl noch etwas Fleisch am Knochen.