Immer mehr Menschen schauen Fernsehen zeitversetzt, nicht zuletzt auch darum, weil sie im Replay-TV die Werbung überspulen können. Ab dem 4. Oktober 2022 ist das – vorerst – bei rund 20 Sendern nicht mehr möglich. Beim Überspulen, am Anfang und beim Drücken der Pausentaste werden den Zuschauerinnen und Zuschauern Werbespots aufs Auge gedrückt. Die TV-Sender, Verwertungsgesellschaften und Anbieter haben sich dazu entschieden – eine Branchenlösung vor dem Hintergrund sinkender Werbeeinnahmen und erhöhter Urheberrechtsabgeltungen:
«Das kann es doch nicht sein»
Wer keine Werbung im Replay-TV will, muss fortan je nach Anbieter zusätzlich bis zu 8 Franken pro Monat zahlen. «Das kann es doch nicht sein», ärgert sich ein Sunrise-Kunde im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Schliesslich habe er ja extra ein Abo mit Replay-TV gekauft, um sich keine Werbung ansehen zu müssen. Ähnlich äussert sich ein Swisscom-Kunde: Er wolle keine Werbung, aber er sei auch nicht bereit, mehr zu zahlen. Beide sind der Ansicht, das sei ursprünglich nicht so vereinbart gewesen, und sie fragen sich deshalb: Dürfen das die Anbieter überhaupt?
Swisscom, Sunrise, Salt und Co. stützen sich auf ihre Allgemeinen Geschäftsbedingungen (AGB). Diese geben ihnen das Recht zu einseitigen Vertragsänderungen, wenn sich die Umstände ändern.
Rechtsexperten: Kunden sollten vorzeitig kündigen können
Doch Rechtsexperten beurteilen die Änderung beim Replay-TV kritischer. Grundsätzlich beruhe ein Vertrag auf dem Konsens zweier Vertragsparteien und eine einseitige Anpassung sei nicht gestattet, sagt Professor Frédéric Krauskopf von der Universität Bern.
Der Vertragsrechtsexperte verweist aber auch auf das Bundesgericht, gemäss dessen Rechtsprechung eine solche Anpassungsklausel zwar erlaubt sei, aber nur, wenn vertraglich festgelegt sei, welche Änderungen möglich seien: «Bei wesentlichen Änderungen, beispielsweise bei Zusatzkosten oder einer Reduzierung des Angebots bei gleichen Kosten, muss den Kundinnen und Kunden mindestens das Kündigungsrecht eingeräumt werden, damit das zulässig ist.»
Auf die Neuerungen beim Replay-TV bezogen: Geht jemandem die neue Regelung mit der Zwangswerbung beziehungsweise den Zusatzkosten für werbefreies Replay-TV gegen den Strich, sollte er sein TV-Abo vorzeitig kündigen können. Das sieht Oliver Sidler, Ombudsmann der Telekombranche ähnlich: Hier liege eine wesentliche Vertragsänderung vor und deshalb müssten die Anbieter ihren Kundinnen und Kunden die Möglichkeit zur Kündigung geben.
Anbieter: «Keine wesentliche Änderung»
Von einem solchen Sonderkündigungsrecht wollen die von «Espresso» angefragten Anbieter – Swisscom, Sunrise und Salt – aber nichts wissen. Man sehe keinen Grund dafür. Schliesslich müsse man ja diese Branchenvereinbarung umsetzen und die Urheberrechtsabgaben seien gestiegen. Und am Angebot, an der Zahl der TV-Sender ändere sich nichts. Ausser, dass bei einem relativ kleinen Teil davon jetzt auch beim zeitversetzten Fernsehen Werbung auftauche.