Rund eine halbe Million Schweizer leidet an Altersdiabetes. Für sie ist Ozempic gedacht. Wegen ihrer appetitzügelnden Wirkung herrscht aber auch seit Monaten ein Hype um die Spritze.
Abnehmwillige strömen in Scharen zum Arzt, um sich das Medikament Off-Label verschreiben zu lassen, obwohl es dafür nicht zugelassen ist.
Seit Dezember spitzt sich Situation zu
Leidtragende sind Diabetiker. Ein Betroffener St. Galler spritzt wöchentlich Ozempic, um seinen Blutzucker zu senken. Im Frühling 2023 beginnt das Medikament knapp zu werden. Soziale Medien heizen den Hype weiter an. Doch der Diabetiker hangelt sich durch: «Ich habe immer noch knapp eine Spritze erhalten. Im Dezember hiess es dann, das Medikament sei nicht mehr lieferbar.»
Auf ein anderes Medikament umzustellen, würde für den Betroffenen Nebenwirkungen bis hin zur Arbeitsunfähigkeit bedeuten, bis das neue Medikament richtig eingestellt ist.
Der St. Galler lässt sich bei mehreren Apotheken auf die Warteliste setzen und nimmt nur noch die halbe Dosis: «Es ist ein sehr unangenehmes Abhängigkeitsgefühl,» sagt er dem SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».
Abnehmen versus ernste Krankheit
Er und tausende weitere Diabetikerinnen sind in ständiger Sorge: Komme ich rechtzeitig an die nächste Dosis? Dass ihm gesunde Menschen das Medikament streitig machen, nur um abzunehmen, mache ihn manchmal auch wütend, gesteht der «Espresso»-Hörer: «Und ich meine nicht jene Leute, die ein Leben lang viel zu schwer sind und darunter leiden. Sondern jene, die Lifestyle-mässig ein paar Kilos verlieren wollen.»
Andere Länder reagieren – und die Schweiz?
Der St. Galler Diabetiker schreibt dem Bundesamt für Gesundheit BAG. Andere europäische Länder haben bereits einen Exportstopp verhängt. Die luxemburgischen Behörden wollen per Dekret erzwingen, dass Ozempic im nächsten Halbjahr nur noch an Zuckerkranke abgegeben wird. Und die Schweiz?
Das BAG antwortet, gegen den sogenannten Off-Label-Einsatz von Ozempic sei man machtlos. Das liege in der Verantwortung der Ärzte.
Der St. Galler Diabetiker versteht das nicht: «Da braucht es eine harte Zwangsmassnahme. Ich erwarte, dass man den Ärzten einen Brief schreibt, dass sie das Medikament nur noch an Diabetiker verschreiben dürfen, bis sich die Liefersituation verbessert hat.»
Moralische Verantwortung bei Medizinern
Yvonne Gilli, Präsidentin des Ärzteverbands FMH, bestätigt die prekäre Situation für Betroffene. Ärzte würden massiv unter Druck gesetzt von Menschen, die unbedingt Ozempic zur Gewichtsabnahme wollen. Trotzdem gebe es eine moralische Verantwortung der Ärzte, sagt FMH-Präsidentin Gilli. Mehr als ein wirkungsloser Appell der zuständigen Fachärzte an ihre Berufskollegen ist aber nicht passiert.
Prekäre Situation könnte noch Jahre dauern
Der Hersteller Novo Nordisk versichert «Espresso», es werde alles getan, um die Produktion zu steigern. Doch ein Ende des Engpasses ist nicht absehbar. Einige Experten sprechen von Jahren. Trotzdem steht laut Bundesämtern ein Verbot des Off-Label-Einsatzes nicht zur Diskussion – und ein Exportstopp würde nichts bringen.
Auch der Apothekerverband kann seinen Mitgliedern keine Vorschriften machen. Immerhin haben einige Apotheken damit begonnen, das Medikament temporär nur noch an Diabetespatienten abzugeben.
Für betroffene Diabetiker bleibt nur die Hoffnung, dass die Ärzte ihre Verantwortung ernst nehmen und Ozempic nur Patienten verschreiben, die es dringend brauchen. Und: Dass Übergewichtige jenes Medikament nehmen, das für sie gedacht ist.