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Bundesamt für Verkehr fordert mehr Kulanz von der ÖV-Branche
Aus Espresso vom 19.01.2024. Bild: Keystone
abspielen. Laufzeit 6 Minuten 33 Sekunden.

Öffentlicher Verkehr Ist bald Schluss mit fragwürdigen «Sekunden-Bussen»?

Bis im Sommer soll die ÖV-Branche Lösungen auf den Tisch legen, damit nicht weiter Unschuldige zu Schwarzfahrern werden.

Ein weiteres Beispiel, das zeigt, wie fragwürdig die heutige Praxis ist: Eine Buspassagierin wartet in Rickenbach (LU) im Wintermantel, mit Handtasche und ihrem Hündchen in einer Tragetasche frühmorgens auf den Bus. Sie habe beim besten Willen keine Hand mehr freigehabt, um die «Easy-Ride»-Funktion auf ihrem Handy vor dem Einsteigen zu aktivieren, sagt sie.

«Mir war das peinlich»

Als sie es gleich nach dem Einsteigen machen möchte, geht ein Kontrolleur der Auto AG Rothenburg dazwischen und hält seine Hand über den Bildschirm. Es sei nun zu spät, macht er der Frau klar.

Als sie den Kontrolleur auf ihre schwierige Situation beim Einsteigen aufmerksam gemacht habe, habe dieser ihr vor allen Leuten die Allgemeinen Geschäftsbedingungen vorlesen wollen. «Mir war das peinlich», erzählt sie im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».

Und damit nicht genug: Ein zweiter Kontrolleur sei hinzugekommen und habe gemeint, eigentlich müsste sie auch ein Ticket für ihren Hund lösen. Die Kundin mag nicht mehr weiterdiskutieren. Ihre Versuche, die Auto AG Rothenburg nach der Fahrt auf direktem Weg zu überzeugen, dass sie nicht mit böser Absicht gehandelt habe, sind erfolglos: Sie soll 100 Franken zahlen.

Andere Version der Kontrolleure

Die Auto AG Rothenburg beschreibt die Situation gegenüber «Espresso» ganz anders: Keiner der beiden Kontrolleure habe das Natel der Kundin mit der Hand abgedeckt, und sie habe ihren Hund nicht in einem geeigneten Behälter transportiert. Und: «Als Unternehmen legen wir grossen Wert auf den respektvollen Umgang mit unseren Kunden und möchten sicherstellen, dass unsere Kontrolleure stets professionell und fair agieren.»

Die Kundin bleibt bei ihrer Version. Überdies habe sie die betreffende Hundetasche bei einem Online-Shop für Tierbedarf bestellt und am SBB-Schalter habe man ihr bestätigt, die Tasche sei okay. Auf eine erneute Rückfrage reagiert das Busunternehmen nicht mehr.

Zuschlag reduziert, aber Eintrag ins Schwarzfahrer-Register

Für das Inkasso bei der Auto AG Rothenburg ist die Postauto AG verantwortlich. Dort reduziert man den Zuschlag auf 30 Franken. «Das Inkasso war kulant, um ein gewisses Verständnis der Kundin gegenüber zu zeigen. Dass der Zuschlag aber erhoben wurde, war korrekt und entspricht dem Reglement», schreibt die Postauto-Medienstelle.

Die 30 Franken muss sie aber zahlen und: Sie erhält einen Eintrag ins Schwarzfahrerregister. Dieser bleibt für zwei Jahre bestehen.

BAV will praxistaugliche und nachvollziehbare Lösung

Box aufklappen Box zuklappen

Fälle wie der hier beschriebene sollen schon bald der Vergangenheit angehören, wenn es nach dem Willen des Bundesamtes für Verkehr (BAV) geht. Dieses ist nämlich der Ansicht, «dass einem Fahrgast nicht in jedem Fall ein Nachteil entstehen darf, wenn die Bestätigung des Ticketkaufs auf dem Smartphone erst kurz nach der Abfahrt erfolgt», sagt BAV-Mediensprecher Michael Müller.

Er spricht damit «strittige Situationen» an, in denen man beim Lösen eines digitalen ÖV-Tickets keine Hand freihat vor dem Einsteigen oder zum Beispiel auch bei technisch bedingten Verzögerungen beim Smartphone. Also dann, wenn man offenkundig nicht böswillig gegen die Regeln verstossen hat und man trotzdem als Schwarzfahrer abgestempelt wird.

Dieser Tage haben sich Vertreter des BAV und der ÖV-Branche an einen Tisch gesetzt, um über das Thema zu diskutieren. Mit dabei waren Vertreter der SBB, der Postauto AG, des Branchenverbandes Alliance Swisspass sowie der Verkehrsverbünde ZVV und Bernmobil. Dabei wurde eine Arbeitsgruppe eingesetzt, die bis im Sommer 2024 Lösungsvorschläge auf den Tisch legen soll. Und zwar sollen die angepassten Regeln sowohl für die Fahrgäste als auch für die Kontrolleurinnen und Kontrolleure praxistauglich und nachvollziehbar sein, so Müller. Bis die neue Lösung da ist, dauert es also noch eine Weile. Bis dann gelte die aktuelle Regelung, wonach Fahrgäste bei der Abfahrt ein gültiges Ticket haben müssen.

Espresso, 19.01.24, 8:10 Uhr

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