Er hatte es nie leicht im Leben, der 44-jährige IV-Rentner Marc Müller (Name geändert) aus dem Berner Oberland. Nach einer traumatischen Kindheit hat er mit psychischen Problemen zu kämpfen und wird zum IV-Rentner. Dank der Ergänzungsleistungen der Sozialversicherungsanstalt (SVA) kommt er finanziell einigermassen über die Runden.
Das Leben wieder ins Lot bringen
2015 stirbt sein Vater. Dieser vererbt seinem Sohn ein Drittel eines Mehrfamilienhauses mit sechs Mietwohnungen. Der 44-Jährige hofft, dank des Erbes auch sein Leben wieder einigermassen ins Lot zu bringen. Er strebt eine Ausbildung zum medizinischen Masseur an, möchte langsam, aber sicher wieder einer geregelten Arbeit nachgehen und schrittweise von der IV und den Ergänzungsleistungen loskommen.
Zum Todeszeitpunkt des Erblassers wird den Erben das Vermögen bei den Ergänzungsleistungen angerechnet, auch wenn man gar noch nicht darauf zugreifen kann.
Keine Ergänzungsleistungen mehr
Da er staatliche Unterstützung bezieht, ist er verpflichtet, den beträchtlichen Vermögenszuwachs der zuständigen Sozialversicherung und den Steuerbehörden zu melden, was er auch umgehend macht. Die Ergänzungsleistungen (EL) werden in der Folge eingestellt. Das sei rechtlich so geregelt, sagt der Sozialrechtsexperte Michael Meier von der Universität Luzern: «Zum Todeszeitpunkt des Erblassers wird den Erben das Vermögen bei den Ergänzungsleistungen angerechnet, auch wenn man gar noch nicht darauf zugreifen kann.»
Bis heute habe ich von meinem Erbe keinen roten Rappen gesehen.
Für Marc Müller hat diese Regelung drastische Konsequenzen: «Bis heute habe ich von meinem Erbe keinen roten Rappen gesehen», erzählt er im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso». Grund: Die anderen beiden Erbparteien sperren sich dagegen, dass sich Marc Müller seinen Anteil auszahlen lassen kann. Sie weigern sich auch, ihn – den IV-Bezüger mit psychischen Problemen – an den Mieteinnahmen zu beteiligen.
Marc Müller klagt vor Gericht auf Erbteilung. Doch dieses schiebt den für ihn so wichtigen Entscheid seit Jahren vor sich her. Gleichzeitig sitzen ihm die Steuerbehörden im Nacken: Jene des Kantons Bern und jene des Kantons, in dem das Mehrfamilienhaus steht. Zumindest die Berner Behörden hätten lange Verständnis gezeigt für seine schwierige Lage, aber nun würden auch sie ihren Anteil am – theoretisch vorhandenen – Vermögen einfordern. «Die Behörden müssen einfach das Gesetz umsetzen», sagt Sozialrechtsexperte Michael Meier.
Düstere Zukunftsperspektiven
Absurd: Auf dem Papier und für die Behörden gilt der Mann seit nunmehr acht Jahren als vermögend. In Tat und Wahrheit haben sich über die Jahre Schulden angehäuft. Damit er noch halbwegs über die Runden kommt, ist er jetzt von der Sozialhilfe abhängig. Hobbys finanzieren, ein Essen auswärts oder ein Konzertbesuch liege nicht mehr drin, sagt er. Und die angestrebte Ausbildung könne er unter diesen Umständen sowieso vergessen.
Ein Ende oder eine Lösung in diesem unsäglichen Erbstreit ist nicht in Sicht. Und je länger er sich hinzieht, je älter der Mann wird, desto mehr schwindet seine Hoffnung, sich wieder im Arbeitsmarkt zu integrieren. «Es sieht düster aus.»
Acht Jahre sind aussergewöhnlich lange
Dass sich die Erbteilung über Monate oder gar Jahre hinzieht, das könne vorkommen – gerade bei einem grösseren Vermögen oder wenn Liegenschaften und auch noch Mieteinnahmen im Spiel seien, sagt der Rechtsexperte von der Universität Luzern: «Aber acht Jahre sind natürlich schon eine lange Zeit.»