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Sie lockt mit Schnäppchen
Aus Espresso vom 03.06.2024. Bild: imago / cover images
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Über 100 Geschädigte «Lego-Betrügerin» lässt sich auch von Gericht nicht stoppen

Eine notorische Schwindlerin zieht mit Fake-Angeboten Online-Shopper über den Tisch – auch nach einer Verurteilung.

Ihr Köder sind vermeintliche Schnäppchen. Begehrte Occasion-Artikel zu einem günstigen Preis. Lego-Bausätze, zum Beispiel. Auf Facebook bietet die Betrügerin im Frühling 2023 das Haus der Simpsons an. Mit allen Figuren der gelben Comicfamilie.

Neu kostet ein solches Set über 600 Franken. Die Frau aus der Umgebung von Leipzig (D), bietet es für 250 Franken an. Und legt angeblich noch ein anderes Lego-Haus mit dazu. Ein Lego-Sammler aus Schaffhausen kann nicht widerstehen: «Ein Super-Angebot, dachte ich, und habe das bestellt», erzählt er im SRF-Konsumentenmagazin «Espresso».

 «Hab schon Mega-Kacke erlebt»

Die «Verkäuferin» arbeitet mit perfiden Methoden. Sie möchte, dass der Schweizer die Ware im Voraus bezahlt. Der Lego-Sammler ist erst skeptisch, lässt sich dann aber im Facebook-Chat überzeugen. Dieser liegt «Espresso» vor. Die Betrügerin tut dort unter anderem so, als sei sie nur vorsichtig und setze deshalb auf Vorauskasse: «Nicht böse gemeint, aber ich hab da schon Mega-Kacke erlebt.»

Facebook Inserat, in welchem verschiedene Lego Sets angeboten werden
Legende: Mit solchen Angeboten auf Facebook lockte die Betrügerin Online-Shopper. SRF

Um das Ganze zu beschleunigen, macht sie Druck. Die Betrügerin gaukelt dem Lego-Fan vor, sie sei bereits auf der Post. Kurz davor, das Paket zu verschicken: «Stehe in Schlange, noch Fünf vor mir», tippt sie in den Chat. Der Schweizer beeilt sich, ihr das Geld zu überweisen und will wissen: «Ist das Paket auf dem Weg?» «Ja, ist es. Sendenummer schicke ich dir gleich, wenn ich zu Hause bin.»

«Ich war zu leichtgläubig»

Ab dann herrscht Funkstille. «Die Frau war nicht mehr erreichbar – weder online noch am Telefon», erinnert sich der Schaffhauser. Jetzt ist ihm klar, dass er einer Betrügerin auf den Leim gekrochen ist. «Ich war zu leichtgläubig», findet er selbstkritisch. Die verlorenen 250 Franken will er zuerst als Lehrgeld abschreiben. Doch dann entdeckt er in den sozialen Medien, dass er bei Weitem nicht das einzige Opfer der Betrügerin ist. Es gibt Foren, in denen sich Betroffene austauschen. «Da habe ich mich entschieden, zur Polizei zu gehen.»

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Über 100 Geschädigte aus drei Ländern

Da die Frau im deutschen Bundesland Sachsen lebt, macht der Schaffhauser dort seine Anzeige. Die Staatsanwaltschaft Leipzig übernimmt. Dort erfährt «Espresso» das wahre Ausmass der Betrügereien. Die Justiz habe seit 2022 insgesamt über 100 Fälle verzeichnet, schreibt die Medienverantwortliche der Staatsanwaltschaft auf Anfrage von «Espresso». Die Geschädigten kommen aus Deutschland, Österreich und der Schweiz.

Dreimal vor Gericht, dreimal verurteilt

Bereits dreimal stand die Frau bis dato auch schon vor Gericht. Dreimal wurde sie wegen gewerbsmässigen Betrugs verurteilt: im November 2022, im Dezember 2023 und zuletzt Ende April 2024. Das Strafmass hat sich nach jedem Prozess erhöht und liegt jetzt bei einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren – auf Bewährung. Laut Gericht liegt die Deliktsumme insgesamt bei unter 10'000 Euro, da sie oft relativ kleine Beträge einkassiert hat.

Weshalb muss die Betrügerin nicht ins Gefängnis?

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Über 100 Geschädigte und drei Verurteilungen wegen gewerbsmässigen Betrugs. Die Freiheitsstrafe summierte sich am Ende auf zwei Jahre. Es bleibt allerdings eine Strafe auf Bewährung. Die notorische Betrügerin muss also weiterhin nicht ins Gefängnis. Warum nicht?

«Espresso» hakt beim zuständigen Gericht in Sachsen nach. Deren Mediensprecher erklärt, das Gericht gehe von einer positiven Sozialprognose aus. Die notorische Betrügerin ist 38-jährig, Mutter von drei Kindern und alleinerziehend. Mit einer Drogenvergangenheit. «In dieser Zeit haben sich Schulden angehäuft», sagt der Gerichtssprecher.

Um diese abzuzahlen, habe sie andere Menschen betrogen. Offenbar ist sie aber schon länger von der Sucht weggekommen. Und sie habe vor Gericht ihre Taten gestanden und bereut, so der Sprecher. Sie sei nun daran, sich wieder eine bürgerliche Existenz aufzubauen.

Aber zumindest das erste Urteil scheint keinen grossen Eindruck gemacht haben. Die Frau betrog weiter. Doch fortan warnten die Betroffenen online und machten weitere Anzeigen. Seit dem zweiten Urteil im Dezember 2023 seien keine weiteren Fälle mehr bekannt geworden, heisst es beim zuständigen Gericht. Ende April seien Taten verhandelt worden, die noch vor dem zweiten Prozess begangen worden seien.

Die deutsche Justiz prüft nun, ob sich bei der Betrügerin noch Geld einziehen lässt, das sie den Betrogenen zurückzahlen könnte.

Espresso, 3.6.2024, 8:10 Uhr

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