Es sind sehr viele Mails, die auf der «Kassensturz»-Redaktion zum Thema «fiktive Coronatests» eingehen. Betroffene schildern stets das Gleiche: Sie finden auf ihrer Krankenkassen-Abrechnung Coronatests, die sie nicht gemacht haben. Ein extremes Beispiel ist Familie S. aus Rapperswil-Jona.
Ihrer Krankenkasse seien sage und schreibe 36 Coronatests verrechnet worden, die sie nicht gemacht hätten, erzählt Herbert S.: «Da waren Tests dabei, die angeblich stattfanden, als wir alle im Ausland in den Ferien waren.» Bis heute hat er von den abrechnenden Ärzten keine plausible Erklärung zu diesen Tests erhalten.
Drei Ärzte stechen hervor
Abgerechnet haben die Tests drei der Familie völlig unbekannte Ärzte. Einer davon ist mittlerweile verstorben.
Bei den anderen beiden handelt es sich um Eric X. Jensen mit Praxis in Schwyz und um die Praxis Avegena Medical Center in Geuensee LU. Beide Namen werden in vielen anderen Mails als abrechnende Stellen genannt. «Kassensturz» fragt mehrfach wegen der Tests bei Avegena-Praxisleiter Jens Westphal nach. Doch er antwortet nicht. Und Eric Jensen sagt lediglich, das Problem sei bei der zuständigen Factoring-Firma, über die offenbar abgerechnet wurde. Wie viele solche Tests die Ärzte abgerechnet haben, ist unklar.
Bahnhof-Apotheke Rapperswil: Patientendaten gestohlen?
«Woher haben diese Ärzte überhaupt meine Patientendaten?», fragen sich viele Betroffene. Hier kommt die Bahnhof-Apotheke Rapperswil ins Spiel. Viele derer, die sich melden, haben dort oder in einer Filiale tatsächlich einmal einen Test gemacht. Wurden Patientendaten hier missbraucht, um fiktive Tests abzurechnen? Der Inhaber der Apotheke schreibt dazu, er sei nur für die medizinische Qualität der Zentren verantwortlich gewesen. Effektiv betrieben hätte dies eine Drittfirma. «In welcher Form vom Betreiber Datensätze entwendet oder missbräuchlich verwendet wurden, kann ich nicht beurteilen».
Schaden von 20 Millionen Franken
Der Krankenkassenverband Santésuisse schätzt, dass rund 1 Prozent aller gemachten Coronatests nicht korrekt, doppelt oder dreifach verrechnet worden sind. «Oder sie haben gar nicht stattgefunden», sagt Santésuisse-Sprecher Matthias Müller. «Das Volumen schätzen wir da auf knapp 1 Prozent der Gesamtsumme, und das würde ungefähr 20 Millionen Schweizer Franken ausmachen.»
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Weil die Tests vom Bund bezahlt werden, sei der Bund in der Pflicht, mutmassliche Betrügereien aufzuklären. Man habe das BAG schon vor Monaten über Unregelmässigkeiten detailliert informiert. «Passiert ist leider seither nicht viel», so Müller.
Im Interview mit «Kassensturz» nimmt BAG-Kommunikationsleiter Gregor Lüthy zu den mutmasslichen Betrugsfällen Stellung. Eine Taskforce sei an der Aufarbeitung der verdächtigen Fälle. Im Fokus stehe eine tiefe, zweistellige Zahl von Leistungserbringern. «Das ist ein sehr aufwändiger Prozess, weil eine grosse Zahl von Daten überprüft werden muss», so Lüthy.
Deshalb habe man auch noch keine Strafanzeigen einreichen können. Dafür brauche es einen begründeten Anfangsverdacht: «Und den haben wir erst, wenn wir die Daten genau prüfen konnten.» Auch deshalb seien noch keine Gelder zurückgefordert worden.