Bei der Praxisgründung vor zehn Jahren hat Gynäkologin Christina Schlatter bewusst ein Labor gewählt, das keine Kick-back-Zahlungen macht. Als sie Offerten einholte, bot ihr ein Labor-Vertreter zusätzlich einige Tausend Franken in bar an, um sie als Kundin zu gewinnen.
Solche Angebote waren verbreitet. Die Branche ist verschwiegen, Insider erzählten «Kassensturz», wie Labore versuchten, den Umsatz zu steigern: «Ein Labor war bekannt dafür, dass es auf seine Rechnung ganze Arztpraxen renovierte.» Und: Noch heute würden unerlaubte Kick-backs fliessen.
Hundert Millionen Franken
«Wir zahlen aus der Grundversicherung über zwei Milliarden jährlich für Laboranalysen. Das ist ein Riesenmarkt und sehr umkämpft», so Santésuisse-Chefökonom Christoph Kilchenmann.
Es ist die Ärzteschaft, die den Labors medizinische Analysen in Auftrag gibt. Entsprechend gross sei der Anreiz, potenzielle Kundschaft mit Geldwerten anzulocken. Die Krankenkasse CSS schätzt, dass innerhalb von fünf bis sieben Jahren über hundert Millionen Franken von Laboren an Ärzte geflossen sind.
Kaum Weitergabe an Versicherte
Erhält ein Arzt oder eine Ärztin eine Zahlung oder einen Rabatt von einem Labor, muss sie diese ausweisen und den Versicherten weitergeben.
Krankenversicherer sind zuständig für die Kontrolle. Doch die Weitergabe an Versicherte erfolge, so Santésuisse, nur sehr selten.
Kritik an Zahlung pro Auftrag
Ein Labor hat der Gynäkologin Christina Schlatter kürzlich ein Angebot gemacht und ihr zehn Franken pro Auftrag versprochen. Das sei gängige Praxis und kein Kick-back, erklärt Felix Huber, Präsident von Medix, dem grössten Ärzte-Netzwerk in der Schweiz.
Er sagt, das sei eine Vergütung für die elektronische Übermittlung von Aufträgen. Damit reduziere sich der Aufwand der Labore. Brancheninsider und eine Kassensturz-Umfrage bestätigen, diese Praxis ist bei grösseren Laboren weitverbreitet. Kleinere Labore sagen gegenüber «Kassensturz»: sie wollen und können da nicht mitmachen.
Nicolas Vuilleumier vom Laborverband FAMH beruft sich auf den Kanton Genf, der eine Zahlung von zehn Franken als zulässig erachtet: Diese verbreitete Zahlung pro elektronischen Auftrag sei eine Aufwandsentschädigung. Wenn es aber um Zahlungen gemäss Artikel 56 des Krankenversicherungsgesetzes gehe, sei die Ärzteschaft dafür verantwortlich, diese weiterzugeben.
Der Krankenkassenverband Santésuisse kritisiert diese Zahlungen. Christoph Kilchenmann sieht darin einen Anreiz für Ärztinnen und Ärzte, unnötig viele Laboranalysen in Auftrag zu geben. Zudem müssten diese Zahlungen an die Versicherten weitergeleitet werden. Auch der Ärzteverband (FMH) und das Bundesamt für Gesundheit (BAG) sehen das so: Vorleistungen der Arztpraxen, auch elektronische, seien bereits im Tarmed abgegolten.
Für die Gynäkologin Christina Schlatter ist klar: «Solche Kick-backs zeigen, dass der viel beschworene Wettbewerb im Gesundheitswesen nicht Kosten senkt, sondern über Mengenausweitung Kosten steigert».
Santésuisse fordert Tarifsenkung
Santésuisse-Zahlen zeigen: Es werden immer mehr Tests in Auftrag gegeben, die Zahl der Auftragstaxen steigt. Im 1. Halbjahr 2024 verrechneten die Labore rund 91 Millionen Franken, fast zehn Prozent mehr als im 1. Halbjahr 2023.
Jetzt schlägt Santésuisse vor, die Auftragstaxe von 21.60 Franken, die die Labore für die Bearbeitung von Aufträgen erhalten, zu senken. Damit will der Verband den finanziellen Spielraum der Labore für Kick-back-Zahlungen reduzieren.