«Das hat mir den Boden unter den Füssen weggezogen», sagt Connie K., wenn sie an ihre Kündigung zurückdenkt. Das letzte Jahr sei schwierig gewesen: Erst ein Ermüdungsbruch am Fuss, dann starb die Schwester und Mitte August habe ihr der Chef ohne Vorwarnung gekündigt.
Die Detailhandelsangestellte bricht darauf zusammen und wird krankgeschrieben. Während der Kündigungsfrist bekommt sie den Lohn, dann übernimmt die Krankentaggeldversicherung. Ihr Arbeitgeber hatte eine Versicherung abgeschlossen, die Nachleistungen vorsah, also auch Zahlungen nach Ende des Arbeitsverhältnisses.
Eine Krankentaggeldversicherung zahlt den Lohn, wenn Arbeitnehmende arbeitsunfähig sind. Die meisten zahlen 80 Prozent des letzten Lohns während maximal 730 Tagen. Connie K. erhält 90 Prozent des Lohns.
Doch nach fünf Monaten reduziert ihre Versicherung Swica die Zahlungen. Sie schreibt, Connie K. sei nach der Kündigung krank geworden. Und: «Ohne Arbeitsunfähigkeit hätten Sie ein Taggeld der Arbeitslosenversicherung bezogen.» Dieses Taggeld sei tiefer.
Silvio Riesen, Anwalt für Haftpflicht- und Versicherungsrecht, erklärt, Krankentaggeldversicherungen seien Schadenversicherungen: «Man bekommt nur Leistungen, wenn man einen Schaden erlitten hat, in dem Fall, einen Lohnausfallschaden.» Der Anbieter nehme an, dass jemand nach der Kündigung arbeitslos sei und reduziere die Leistungen auf die Taggelder der Arbeitslosenversicherung.
Versicherung reduziert Leistungen
Connie K. erhält nur noch 70 Prozent ihres ursprünglichen Lohns. Und: Die Swica fordert das zu viel ausbezahlte Taggeld zurück, total 4807.50 Franken. Die Kürzung ist happig, pro Monat zwischen 961 und Fr. 994 Franken.
Swica schreibt «Kassensturz», die Versicherte habe ab dem 01.02.2023 weder ihren früheren noch einen neuen Arbeitsvertrag gehabt: «Daher sind die Taggeldleistungen an die Leistungen der Arbeitslosenversicherung anzupassen. [...] Dieses Vorgehen stützt sich auf ein Bundesgerichtsurteil.»
Bundesgerichtsurteil ist wegweisend
Michael Meier ist Oberassistent an der rechtswissenschaftlichen Fakultät der Universität Luzern. Er erklärt, das Bundesgericht fordere im jüngsten Urteil von Arbeitnehmenden, die nach der Kündigung krank wurden, einen bestimmten Nachweis.
Und zwar: «Dass sie eine konkrete Stelle in Aussicht gehabt und diese angetreten hätten, wären sie nicht krank geworden.» Aber das sei nicht möglich. «Ich müsste als kranke Person einen Arbeitgeber finden. Für die versicherte Person ist das stossend, weil sie den Beweis nicht erbringen kann.»
«Kassensturz» hat bei grossen Krankentaggeldversicherungen angefragt: Vier der befragten Anbieter wenden die Entscheide des Bundesgerichts an und kürzen Taggelder bei einer Arbeitsunfähigkeit nach der Kündigung. Drei Versicherungen geben an, in erster Linie den Einzelfall zu prüfen. Die Allianz betont, es wäre abhängig vom Vertrag mit dem Arbeitgeber. Sechs Anbieter antworten, sie würden die besagte Rechtssprechung nicht anwenden. Die Mehrheit kürzt nicht automatisch, wenn Angestellte nach der Kündigung krank werden.
Versicherungsrechtsexperte Silvio Riesen bestätigt, das Bundesgerichtsurteil lasse Spielraum zu, auch um Einzelfälle zu prüfen. Doch er kritisiert, viele Versicherer würden den nicht nutzen.
Connie K. geht es mittlerweile besser und sie hat wieder eine Stelle gefunden.