Zwölf Jahre arbeitete Silvia Rieder (Name geändert) bei einem Optiker im Kanton St. Gallen. Sie erledigte die Buchhaltung des Unternehmens, die Lohnabrechnungen und Sekretariatsarbeiten. Sie habe gerne dort gearbeitet, es seien zwölf gute Jahre gewesen, erzählt sie dem Konsumentenmagazin «Espresso» von Radio SRF 1.
In letzten Oktober dann der Schock. Der Chef teilt ihr mit, infolge des anstehenden Generationenwechsels werde das Familienunternehmen neu strukturiert. Künftig würde die Buchhaltung auswärts erledigt, ihre Stelle würde aufgehoben. Die 61-jährige Silvia Rieder bekommt die Kündigung.
Erhöhte Fürsorgepflicht bei älteren Angestellten
Angestellte wenige Jahre vor ihrer Pensionierung auf die Strasse zu stellen, ist in der Schweiz möglich. Hier gibt es keinen Kündigungsschutz für ältere Angestellte. Allerdings habe ein Arbeitgeber bei einer Kündigung eine erhöhte Fürsorgepflicht für ältere Angestellte, sagt Sara Licci, Dozentin für Arbeitsrecht an der Züricher Hochschule für Angewandte Wissenschaften: «Ein Arbeitgeber muss rücksichtsvoll vorgehen, er muss Gespräche mit den Betroffenen suchen, muss Möglichkeiten prüfen, wie eine Kündigung vermieden oder ihre Folgen gemildert werden könnten.»
Zur Fürsorgepflicht eines Arbeitgebers gehört, dass er einem gekündigten Angestellten sofort ein Zeugnis ausstellt. Potentielle Arbeitgeber verlangen bei Bewerbungen immer ein aktuelles Zeugnis. Doch um diese Pflicht kümmert sich der ehemalige Chef von Silvia Rieder nicht. Erst nach langem Hin und Her bekommt sie kurz vor Ende der Kündigungsfrist ein Zeugnis. Als sie es liest, verschlägt es ihr beinahe die Sprache.
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Der aufmüpfigen Angestellten eins auswischen
Am Schluss des Zeugnistextes erwähnt der ehemalige Arbeitgeber, es sei am Ende des Arbeitsverhältnisses zu Konflikten gekommen. «Dass in diesem Zusammenhang (gemeint ist die Aufhebung der Stelle infolge der Neustrukturierung) seitens Silvia Rieder Kritik aufkam, dass nun eine langjährige, wenige Jahre vor der Pension stehende Person aus Kostengründen gekündigt wird, ist nicht zuletzt auf Grund der Fakten aber auch der vorangegangenen Jahresgespräche nur schwer zu verstehen.»
Diese Bemerkung dürfte jeder potentielle Arbeitgeber als Warnung vor einer aufmüpfigen Mitarbeiterin verstehen. Ein Arbeitszeugnis sei aber keine Abrechnung, sondern ein Leistungsausweis, betont Arbeitsrechtsexpertin Sara Licci. Solche Bemerkungen nach einmaligen Konflikten und Auseinandersetzungen gehören nicht in ein Arbeitszeugnis. «Ein Arbeitgeber darf einer ehemaligen Angestellten keine Steine in den Weg legen.» Eine solche Bemerkung wäre nur dann zulässig, wenn sich ein Angestellter immer wieder respektlos verhält oder Weisungen ignoriert.
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Arbeitgeber krebst schliesslich zurück
Silvia Rieder bat ihren ehemaligen Arbeitgeber, auf diese Bemerkung zu verzichten. Erfolglos. Als sich «Espresso» einschaltet, beauftragt der ehemalige Chef einen Anwalt. Dieser schreibt, der Generationenwechsel im Betrieb habe sich bereits länger abgezeichnet. Silvia Rieder habe davon ausgehen müssen, dass die anstehenden Veränderungen auch ihre Stelle betreffen könnten. Den Vorwurf, der Chef wolle seiner ehemaligen Angestellten mit der abwertenden Bemerkung im Zeugnis Steine in den Weg legen, bestreite er. Man werde aber ein neues Zeugnis ausstellen und darin auf diese Bemerkung verzichten.
Silvia Rieder ist noch immer auf Stellensuche. Das neue Zeugnis wird ihr diese nun immerhin nicht noch zusätzlich schwierig machen.