Zusatzversicherte Patienten laufen Gefahr, unnötigen Operationen unterzogen zu werden, denn Spitäler und Chirurgen verdienen viel Geld damit. Auch bei den Patientenstellen ein bekanntes Phänomen, wie die Präsidentin Erika Ziltener im Interview bestätigt.
«Kassensturz»: Eine Statistik des Bundesamtes für Gesundheit aus dem Jahr 2016 zeigt: Privatpatienten haben mehr Eingriffe als allgemein Versicherte. Herrscht eine Überversorgung von privat Versicherten? Spüren Sie dieses Problem auch bei der Patientenstelle?
Erika Ziltener: Wir erhalten Meldungen von betroffenen Personen und bei der Abklärung der Indikation kann sich der Verdacht einstellen, dass aufgrund des Versichertenstatus operiert oder untersucht wurde.
Welche Folgen kann eine Überbehandlung für Betroffene haben?
Jeder Eingriff, jede Untersuchung und insbesondere Operation ist mit Risiken verbunden. Wenn sich bei einer unnötigen Operation ein Risiko verwirklicht, ist das doppelt gravierend. Zudem können sich nach jedem Eingriff Nebenwirkungen einstellen, zum Beispiel Medikamentenunverträglichkeit, Verwachsungen nach der Operation und so weiter.
Wie merken Patienten, dass sie überbehandelt werden? Was können sie tun, um das zu verhindern?
Jede Patientin, jeder Patient muss sich über seine Erwartungen an die Behandlung und deren Nutzen im Klaren sein. Das muss sie oder er mit der behandelnden Ärztin besprechen und die Risiken und den Nutzen gegeneinander abwägen und sich so entscheiden.
Ein Indiz für eine Überbehandlung kann sein, wenn der Arzt nur die Operation in Betracht zieht und nicht über Alternativen informiert. Ein Beispiel: Eine Kreuzbandruptur kann mit Physio oder Operation behandelt werden. Die betroffene Person muss nach erfolgter Aufklärung die für sich richtige Option wählen können. Hier gibt es kein richtig oder falsch, aber die Patientin oder der Patient kann eine mündige Entscheidung fällen.
Sie sagen, die Meinung eines zweiten Arztes ist wichtig. Bei Krebspatienten bespricht der Arzt die Behandlung oft im Rahmen eines Tumorboards mit anderen Fachärzten. Soll der Patient trotzdem eine weitere Meinung einholen?
Leider ist der «Titel» Tumorboard nicht geschützt und es bestehen keine verbindlichen Rahmenbedingungen für die Durchführung eines solchen. Unsere Erfahrung ist, dass die Besprechungen im Tumorboard oftmals eine Bestätigung der geplanten Behandlung sind und nicht eine Meinungsbildung zur optimalen Behandlung.
Auch ist nicht klar geregelt, ob die Tumorboards auch aussenstehende miteinbeziehen. Solange in der Schweiz eine verbindliche Qualitätssicherung fehlt, müssen wir über Informationen versuchen, betroffene Personen zu unterstützen.
Kann ein Patient im Nachhinein etwas unternehmen, wenn er überbehandelt wurde?
Ja, er kann sich bei uns, bei der Patientenstelle, melden. Wir können abklären ob es sich um einen haftpflichtrelevanten, beweisbaren Fehler mit kausalem Gesundheitsschaden handelt und Schadenersatz fordern. Wir legen zudem grossen Wert auf die Überprüfung der Indikation. Ist diese nicht gegeben, haben wir erhöhte Erfolgsaussicht bei der Beweisführung. Zudem können wir mit dem Wissen um Qualitätsmängel mittels Rückmeldungen an Spitäler oder Fachpersonen für Verbesserungen sorgen. Gerade das wünschen sich von Qualitätsmängeln betroffene Personen ganz besonders.
Was sollte sich Ihrer Meinung nach ändern, damit unnötige Behandlungen verhindert werden können?
Grundsätzlich müsste die Qualität und die Qualitätssicherung verbindlich geregelt werden. Leider hat das – auch vom Bundesrat vorgesehene – Zentrum für Qualität keine Mehrheit gefunden, so dass wir uns weiterhin punktuell für Qualitätsverbesserung engagieren. Wir können nur zur Sensibilisierung in der Bevölkerung beitragen und immer wieder die individuelle Nutzenfrage vorgängig stellen.
Das Interview führte Maria Kressbach.