Zum Inhalt springen

Kritik an Star-Arzt Hochrisiko-Operationen an Privatpatienten

Das Wichtigste in Kürze

  • An den Zürcher Hirslanden Kliniken führt ein Bauch-Chirurg umstrittene Hochrisiko-Operationen durch.
  • Er spricht selbst in verzweifelten Fällen von Heilung und verdient so an Privatpatienten viel Geld.
  • Ein bekanntes Phänomen: Zusatzversicherte Patienten laufen Gefahr, unnötigen Operationen unterzogen zu werden. Denn Spitäler und Chirurgen können an ihnen viel Geld verdienen.

«Ich möchte erreichen, dass der Tod meines Mannes nicht vollkommen sinnlos war», sagt Nierenspenderin Ulrike Simon. «Und ich möchte erreichen, dass die Ärzte, die ihm das angetan haben, ins Überlegen kommen und diese Sache nicht noch einmal wiederholen.» Die 66-Jährige spricht von einem Kombinationseingriff, der in Deutschland als «Weltpremiere mit Todesfolge» und «Operation fatal» Negativ-Schlagzeilen machte.

Urkunde für Organspenderin.
Legende: Für ihre «grosszügige Geste der Nächstenliebe» erhielt Ulrike Simon sogar eine Urkunde von der Klinik. SRF

Multiorganversagen nach Hochrisiko-Eingriff

Am Uniklinikum Heidelberg entnahm ihr Professor Jan Schmidt zusammen mit einem Ärzteteam 2011 eine Niere und implantierte sie ihrem Mann. Trotz Blutgruppen-Unverträglichkeit und unter totaler Unterdrückung seines Immunsystems. In der gleichen Operation wurde ihrem Mann von einem Urologen auch noch die Prostata entfernt, denn er hatte Krebs im Frühstadium.

Ein solcher Doppel-Eingriff ist wegen des erhöhten Komplikationsrisikos nicht Standard in der Medizin. Die von Simon gespendete Niere musste ihrem Mann wenige Monate später wieder entnommen werden. Er kam an die Blutwäsche und starb nach einer leidvollen Zeit an Multiorganversagen.

Da muss man ja blöd sein, wenn man dann den Eingriff trotzdem machen lässt.
Autor: Ulrike Simon Nierenspenderin

Ulrike Simon sagt, sie und ihr Mann seien über die erhöhten Risiken dieses Doppel-Eingriffs nicht aufgeklärt worden. «Da muss man ja blöd sein, wenn man dann den Eingriff trotzdem machen lässt», sagt sie. Jan Schmidts Anwalt schreibt «Kassensturz» dazu: «Wie bei allen Patienten meines Klienten ist auch in diesem Fall eine ausführliche und umfassende Aufklärung über die Behandlungsrisiken erfolgt.»

Grosse Versprechen auf Youtube

Seit diesem Hochrisiko-Eingriff mit Todesfolge operiert Jan Schmidt als Belegarzt für die Klinikgruppe Hirslanden. «Ich bin ein Mediziner, der selten oder gar nicht aufgibt», präsentiert er sich in einem Selbstporträt auf Youtube. Auch in verzweifelten Fällen gäbe es Möglichkeiten, «Patienten Lebensverlängerung zu schenken oder sogar noch eine Heilung zu ermöglichen». Solche Worte sind ein Strohhalm für Schwerkranke.

«Heilungschance» und «Lebensverlängerung» versprach Schmidt auch einem Leberkrebspatienten. Dies zeigen Akten, die «Kassensturz» zugespielt wurden. Der 75-Jährige verstarb an den Folgen des Eingriffs. Er hatte fortgeschrittenen Leberkrebs mit Ablegern. Dies hätte mit einer Feinnadelpunktion im Vorfeld festgestellt werden können, sagen Experten.

Doch Schmidt operierte ohne vorgängige Gewebeentnahme. Beim Eingriff wurden Bauchspeicheldrüse und Gallengang verletzt. Es entleerte sich gallige Flüssigkeit in den Bauch. Der Patient musste erneut operiert werden. Es kam zu inneren Blutungen und Nierenversagen. Der Patient starb im Zürcher Privatspital «Klinik im Park».

Experten halten Operation für «unnötig»

«Kassensturz» zieht zur Prüfung der Krankenakten mehrere namhafte Experten bei. Wegen Bedenken vor juristischen Konsequenzen möchten sie anonym bleiben. Nach Sichtung der Dokumente hält ein Mediziner den Eingriff für «unnötig». Zuerst hätten Gewebeproben entnommen werden müssen. Diese hätten Aufschluss über das fortgeschrittene Stadium des Krebses gegeben. Laut chirurgischen Richtlinien werde ein solch bösartiger Tumor mit Ablegern nicht mehr operiert, sagt ein anderer Mediziner.

Der Eingriff führte zur Lebensverkürzung bei sonst schon schlechter Prognose.
Autor: Experte

Auf dem Aufklärungsbogen steht unter «voraussichtlichem Verlauf»: «Heilungschance», «Lebensverlängerung». Dem entgegnet ein Experte: «Von Heilungsaussicht zu sprechen, ist gegenüber dem Patienten nicht fair.» Ein anderer Arzt kommt zum Schluss: «Der Eingriff führte zur Lebensverkürzung bei sonst schon schlechter Prognose.»

Eine solche Operation kann leider das Leben des Patienten, wenn es zu Komplikationen kommt, etwas verkürzen. Andererseits würde man einem so betroffenen Patienten aber eine Heilungschance vorenthalten.
Autor: Jan Schmidt Chirurg

Jan Schmidt schreibt «Kassensturz»: «Eine solche Operation kann leider das Leben des Patienten, wenn es zu Komplikationen kommt, etwas verkürzen. Andererseits würde man einem so betroffenen Patienten aber eine Heilungschance vorenthalten, wenn die Lymphknoten nicht befallen wären und man ihn zur Klärung der Gut- oder Bösartigkeit nicht operieren würde.»

Für seine ärztlichen Leistungen in diesem Fall stellte Schmidt 20'815 Franken in Rechnung. Dazu kommen die Honorare der Assistenzärzte und die Rechnung des Privatspitals.

«Kassensturz» weiss: Dieser Fall ist Teil einer Voruntersuchung gegen unbekannt der Zürcher Staatsanwaltschaft – aufgrund einer anonymen Anzeige.

Mit Namen äussert sich Professor Alexander Bachmann zu den Krankenakten. Der Urologe und ehemalige Chefarzt des Universitätsspitals Basel verfasste damals im Auftrag von Nierenspenderin Ulrike Simon ein Gutachten zur riskanten Transplantation.

«Kassensturz» legt ihm mehrere zugespielte Krankengeschichten vor: «Die Patienten sind zum Teil sehr alt oder haben sehr weit fortgeschrittene Tumore. Ich denke, dass die Risiken, die mit diesen Eingriffen verbunden sind, wahrscheinlich nicht richtig abgeschätzt wurden», sagt Bachmann. «Die Patienten wurden möglicherweise nicht wirklich über die potentiellen Risiken informiert, sonst hätten sie nicht in die Operationen eingewilligt.»

Vor jeder Operation müsse sich ein Arzt überlegen, ob er damit dem Patienten wirklich helfe, sagt Professor Pierre-Alain Clavien. Der Bauch-Chirurg transplantiert und operiert am Universitätsspital Zürich: «Ein Arzt muss manchmal Nein sagen, auch wenn das ein Patient nicht hören möchte.»

Mehrere Organe entnommen – alle krebsfrei

Ein weiterer gravierender Fall: Ein Privatpatient wurde vergangenes Jahr mehreren schweren Operationen unterzogen. Der fast 90-Jährige wurde mit einer Blasenentzündung eingeliefert. Der Verdacht: Rückfall eines Blasenkrebses. Bei der ersten Operation entfernten ihm Jan Schmidt und ein Ärzteteam im Zürcher Privatspital «Klinik im Park» die Blase, eine Niere, Prostata, Samenblase sowie Harnleiter und konstruierten einen künstlichen Blasenausgang. Die Organe wurden im Labor untersucht: Alle waren krebsfrei!

Nach dem riesigen Eingriff kam es zu gravierenden Komplikationen: Zuerst zu Lähmungserscheinungen im Bein. Danach zu einem lebensgefährlichen Urinleck in den Bauchraum. Der betagte Patient wurde in Kürze dreimal operiert. Heute hat er einen künstlichen Blasenausgang – nur noch eine Niere und keine Prostata mehr.

Schmidt schreibt, er habe die Operation nicht veranlasst und sei auf Bitte eines Kollegen im Einsatz gewesen. Die Indikation für die Operation sei für ihn richtig gewesen: «Auch wenn sich letztlich die Rückfalldiagnose nicht bestätigte, so musste der Infektherd bei dem betagten Patienten entfernt werden, um die Blutvergiftung zu beherrschen.»

Ein nutzloser, gefährlicher, grosser Eingriff.
Autor: Experte

Laut Urologe Alexander Bachmann hätte es schonendere Behandlungen gegeben, ohne Organentfernung: «Dieser Eingriff bei diesem betagten Herrn wäre mit einer anderen, einfacheren Methode wesentlich effizienter und sicherer gewesen.» Unabhängig voneinander kommen die anderen Experten zum gleichen Schluss. Ein «nutzloser, gefährlicher, grosser Eingriff», sagt einer. «Ein Minimal- nicht ein Maximaleingriff wäre hier gefragt gewesen. «Der Verdacht eines Tumor-Rückfalls war vor der Operation nicht gesichert». Und: «Vor einem derart ausgedehnten Eingriff, braucht es eine saubere Diagnostik».

Staatsanwaltschaft klärt ab

Eine Blasenspiegelung und Gewebe-Entnahmen hätte es vor einem solch radikalen Eingriff gebraucht. «Kassensturz» weiss: Dieser Fall ist Teil einer gegen unbekannt gerichteten Voruntersuchung der Staatsanwaltschaft Zürich, wegen möglicher fahrlässiger schwerer Körperverletzung, die aufgrund einer anonymen Anzeige erfolgt ist. Der Patient selber lässt «Kassensturz» über eine Anwältin ausrichten, er sei heute in besserer gesundheitlicher Verfassung als vorher.

Schmidt verrechnete in diesem Fall für seine ärztlichen Leistungen 23‘483.50 Franken. Schmidts Anwalt schreibt, die Behandlungskosten würden sich nach gültigen Tarifen richten.

Zusatzversicherte haben ein grösseres Risiko, unnötig operiert zu werden.
Autor: Erika Ziltener Patientenstelle Zürich

Die Patienten von Jan Schmidt sind mehrheitlich halb- oder privatversichert. Für sie kann der Operateur hohe Zusatzhonorare verrechnen. «Zusatzversicherte haben ein grösseres Risiko, unnötig operiert zu werden», stellt Erika Ziltener von der Zürcher Patientenstelle fest. Ihr ist Jan Schmidt durch seine TV-Auftritte in einer von der Hirslanden-Klinik gesponserten Sendung «CheckUp» der Regionalsender TeleZüri und TeleBärn negativ aufgefallen. Solche Werbeauftritte seien unzulässig, kritisiert Ziltener. Ausserdem sei es unethisch, Schwerstkranken Hoffnung zu machen.

Wie können sich Patienten schützen?

Box aufklappen Box zuklappen

Aus langjähriger Erfahrung weiss sie, wie schwierig es für Patienten ist, einen überflüssigen oder schädlichen Eingriff zu beweisen. «Ein Arzt, der unnötige Operationen durchführt, kann sich in aller Regel auch gut herausreden, wieso er das gemacht hat und sich rechtfertigen», sagt die Patientenschützerin. Und dann hätten Patienten sowieso keine Chance, es sei ein Kampf David gegen Goliath.

Jan Schmidt schreibt «Kassensturz» zu seinen TV-Auftritten: «Das, was Sie als Werbung bezeichnen, ist für mich wichtige, manchmal lebensrettende Informationsweitergabe.» Und die Hirslanden-Klinikgruppe schreibt, trotz ihres Sponsoring sei die Gesundheitssendung «CheckUp» redaktionell «absolut unabhängig».

Nach der riskanten Nierentransplantation bleibt Ulrike Simon allein zurück. Mit Schmerzen und Schuldgefühlen. Hätte sie ihrem Mann ihre Niere nicht gespendet, so denkt sie, wäre er jetzt noch am Leben. Das Strafverfahren der Staatsanwaltschaft Heidelberg wurde eingestellt, die Aufklärung sei genügend gewesen. Ulrike Simon ist anderer Meinung: Sie hat Zivilklage erhoben gegen drei Operateure, darunter der in der Schweiz tätige Schmidt. «Ich weiss, dass ich meinen Mann nicht zurückbekomme. Von daher ist es hauptsächlich ein Ruf nach Gerechtigkeit. Ich möchte, dass andere nicht das Gleiche erleben.»

Stellungnahme Hirslanden-Gruppe:

Box aufklappen Box zuklappen

«Professor Jan Schmidt gilt international als ausgezeichneter Chirurg mit mehr als 14'000 durchgeführten Eingriffen, viele davon mit hohem oder sehr hohem Schwierigkeitsgrad und sehr niedriger Sterberate. Er hat über 300 wissenschaftliche Arbeiten publiziert und verfügt über zwei Ehrendoktorauszeichnungen sowie Lehrpreise.»

Jan Schmids Anwalt betont, dass die Staatsanwaltschaft in beiden Hirslanden-Fällen bisher keine Strafuntersuchung eröffnet habe. Zudem schreibt der Anwalt, dass Jan Schmidt wegen des Datenlecks bei der Zürcher Staatsanwaltschaft Anzeige gegen unbekannt eingereicht habe.

Chirurg stellt sich den Vorwürfen

Jan Schmidt nahm live im Studio Stellung zu den Vorwürfen. Im Gespräch mit Kassensturz-Moderator Ueli Schmezer sagt er: «Richtig ist, dass ich sehr viele risikoreiche Eingriffe in meinem chirurgischen Alltag durchführe, richtig ist auch, dass jeder Arzt, der komplexe Operationen durchführt, manchmal hinterher etwas schlauer geworden ist und auch die Teams etwas gelernt haben.» Ohne Zweifel hätte man etwa im Fall des leberkranken Patienten vielleicht anders entschieden, wenn man gewusst hätte, wie der Verlauf sei. «Das Problem ist immer, wir wissen es vorher nicht.»

Zum Vorwurf, dass er privatversicherte Patienten häufiger operiere sagt Jan Schmidt: «Wir kennen den Versicherungsstatus erst am Ende der Therapie-Besprechung im Tumorboard. Die finanziellen Aspekte spielen keine Rolle.» Es gebe kaum einen Bereich in der Medizin, wie den der Onkologie, wo das so gut kontrolliert sei, weil zehn bis zwanzig Experten dabei seien und jeder reguliere. «Die Zeiten sind längst vorbei, wo der Chirurg die Entscheidung alleine getroffen hat», so Jan Schmidt im Livegespräch.

Meistgelesene Artikel