Miss Jemimas Tagebuch: Freitag, 3. Juli 1863 (Fortsetzung)
Rechts neben dem Pfad vom Schwarenbach nach Kandersteg erheben sich die Berge 1670 Meter hoch. Auf einem Felsgesims liegt ein riesiger Gletscher. Da keine Rinne vorhanden ist, die er hinabgleiten könne, türmt er sich hoch auf und verliert alle hundert Jahre einmal das Gleichgewicht, um donnernd in den Talgrund hinabzustürzen. Der letzte Gletschersturz ereignete sich vor 67 Jahren.
Nach einer weiteren Wegstunde fiel unser Blick auf einen gigantischen Felseinschnitt mit 1800 Meter hohen Wänden, der das Gasterntal flankiert. Wir hatten grosses Glück, denn trotz Schwindelgefühlen stürzte kein Mitglied unseres Clubs in den Abgrund. Dies war aber nicht das Verdienst unserer «natürlichen Beschützer», die – so scheint es – in eine angeregte Diskussion über die Einkommenssteuer vertieft waren.
Knickerbockers sind zweifelsohne geeigneter als normale Hosen, die meisten Menschen dürften aber warten, bis dieses Kostüm bekannter geworden ist, bevor sie es auf eine Europatour mitnehmen
Der Vorstand des Junior United Alpine Club will sich nicht zu sehr darüber aufhalten, wie langsam andere Gesellschaften die jüngsten Verbesserungen in der Kunst des Reisens auf- und übernehmen. Trotzdem ist es ganz amüsant, im Reiseführer von Mister Ball, dem früheren Präsidenten der London Society, zu lesen, dass «Knickerbockers zweifelsohne geeigneter sind als normale Hosen, die meisten Menschen dürften aber warten, bis dieses Kostüm bekannter geworden ist, bevor sie es auf eine Europatour mitnehmen».
Während er zu Hause diesen schüchternen Ratschlag zu Papier brachte, hatten einige Mitglieder unseres Clubs bereits auf die Raffinessen der modernen Zivilisation verzichtet und ihn in die Tat umgesetzt. Einmal mehr nahm die jüngere Gesellschaft hierbei eine Pionierrolle ein.
Unser Abstieg nach Kandersteg war steil und abrupt, eine Art Treppe für Riesen!
Unser Abstieg nach Kandersteg war steil und abrupt, eine Art Treppe für Riesen! Blumen, Bäume und Gräser wuchsen wild und üppig zwischen von Moos und Efeu überwucherten Kalkfelsen, die Kander toste oder spielte neben unserem Weg in derart vielen Variationen, dass selbst Southeys lautmalerisches Wasserfallgedicht Lodore ihr nicht gerecht geworden wäre.
Als erstes erreichten wir das Hôtel de l’Ours. Eine hübsche Wirtin und ihre Magd kamen heraus, um uns zu empfangen. Der Wirt sprach gut Englisch; die Folgen eines Unfalls im Winter, als ein schrecklicher Sturm das Dach seines Hauses fortgeweht hatte, hielten ihn aber im Haus gefangen.
Wir beschlossen, hier zu übernachten, anstatt noch einige Kilometer weiter nach Frutigen zu wandern. Wir bestellten ein Nachtessen und warteten, bis der für uns bestimmte Fisch im Fluss gefangen wurde.
Um möglichst viele Gänge aufzutragen, servierte uns die Wirtin erst den Braten in Scheiben und als «nächsten Gang» dann saubere Teller und den Braten selbst!
Die gute Wirtin tat ihr Bestes, um uns eine stilvolle Mahlzeit zu bieten. Um möglichst viele Gänge aufzutragen, servierte sie uns erst den Braten in Scheiben und als «nächsten Gang» dann saubere Teller und den Braten selbst!
Nach dem Essen machten wir uns auf, um einen fünf Minuten entfernten Wasserfall zu besichtigen. Er verbarg sich hinter einer riesigen, hoch aufragenden Felswand. Sein Wasser kocht mit ohrenbetäubendem Donner über und rollt auf massive Felsen hinunter. In der Grammatik von Lindley Murrey finden sich die Begriffe «hurly-burly, helter-skelter, pell-mell» zur Beschreibung dieses Effekts.
Wir blieben so lange, dass wir in der Dämmerung kaum unseren Weg zurückfanden und bis «der volle Mond [...] reglos überm Tal» hing. Im Gasthof schrieben wir Briefe, machten Tagebucheinträge, «frisierten» Abrechnungen etc. etc.
Wir gaben uns Mühe, die unbequeme Unterkunft in diesem Hotel durch das «Fest der Vernunft und den Fluss der Seele» zu kompensieren. Ganz einfache Beiträge reichten schon aus, um unsere leicht überspannte Gruppe zu heftigem Applaus hinzureissen.
Nachdem unser gemeinsamer Rätselvorrat erschöpft war, begaben wir uns in unsere holzgetäfelten Zimmer und kamen gerade noch rechtzeitig, um einen von der Lampe ausgelösten Deckenbrand zu vermeiden.
Nachdem unser gemeinsamer Rätselvorrat erschöpft war, begaben wir uns in unsere holzgetäfelten Zimmer und kamen gerade noch rechtzeitig, um einen von der Lampe ausgelösten Deckenbrand zu vermeiden. Es kam uns effektiv so vor, als ob wir oberhalb einer Schreinerei übernachten sollten – das Hotel wurde nämlich umgebaut und das Dach abgenommen, um ein weiteres Stockwerk aufzusetzen.
Armes Hôtel de l’Ours! Seit unserem Aufenthalt haben wir von Freunden erfahren, dass es nur noch eine völlig zerstörte Brandruine ist.