SRF Sport: Herr Cappellanes, wie sehen die Brasilianer die Schweizer Nationalmannschaft?
Joao Paulo Cappellanes: Die Schweiz hat eine sehr gute Defensive, schon immer. Brasilien geht aber sehr zuversichtlich in den Match, auch wenn die Schweiz über Spieler verfügt, die in Europa in Top-Teams spielen. Wir haben grossen Respekt vor der Schweiz. Vor vier Jahren gab es ein Remis an der WM in Russland, Brasilien hat den Match fast verloren. Die Schweiz wird am Montag ein schwieriger Gegner sein.
Aber wie sieht in Brasilien der Fokus aus: Spricht man über die Schweiz oder nur über das eigene Team?
Der Hauptfokus ist Neymar (lacht). Seine Knöchelverletzung ist nicht gut, er wird nicht alle WM-Spiele bestreiten können. Brasilien spricht deshalb momentan auch viel über die jungen Spieler wie Rodrygo, Antony, Martinelli und Richarlison. Dabei bleibt aber auch die Schweiz ein Thema.
Welche Schweizer Spieler sind denn besonders auf dem Radar?
Das ist eine gute Frage. Vor dem Spiel gegen Serbien wurde über Mitrovic, Tadic oder Milinkovic-Savic gesprochen. Gegen die Schweiz sorgt sich Brasilien nicht wegen eines speziellen Spielers, man hat mehr Respekt vor dem ganzen Team.
Mit Neymar ist ein WM-Titel viel einfacher zu holen.
Im Zusammenhang mit Neymars Verletzung gibt es auch Stimmen, die der Meinung sind, sein Ausfall könne die «Seleçao» auch stärker machen …
No way, no way! Es gibt für Brasilien keinen Weg, ohne Neymar besser zu spielen als mit ihm. Er ist ein grosser Star. Die Performance des Spiels ist zwar nicht mehr nur abhängig von ihm. Aber ohne Neymar, dem besten Spieler, den wir haben, spielt Brasilien nicht besser.
Der Schweizer Live-Kommentator des Spiels Brasilien – Serbien sagte zum Auftakt, Brasilien könnte auch mit den Spielern auf der Ersatzbank Weltmeister werden.
Auch wenn es hart wird, wir können die WM auch ohne Neymar gewinnen. Auf der Bank sind sehr viele gute Spieler, aber keine Top-Spieler wie Neymar. Mit Neymar ist ein WM-Titel viel einfacher zu holen.
Wie ist der Spirit in der brasilianischen Mannschaft mit all den grossen Egos im Kader? Ist Brasilien ein gefestigtes Team?
Den letzten Titel hat Brasilien 2002 gewonnen. Damals habe ich selber Brasilien erstmals als Team auftreten sehen. 2006 hatten wir Ronaldo, Ronaldinho, Adriano und Kaka, aber sie konnten als Gruppe nicht überzeugen. Jetzt tritt Brasilien als Team auf, mit starken Individualisten wie Neymar, Vinicius Junior, Raphinha und Richarlison. Zum ersten Mal seit 20 Jahren sehe ich Brasilien wieder als starke Gruppe auftreten.
Richarlison hat einen sehr schönen Treffer gegen Serbien erzielt. Sprechen wir auch noch über ihn.
Zuerst möchte ich über den Richarlison neben dem Platz sprechen. Die meisten brasilianischen Team-Mitglieder leben in einer Fussball-Blase, ihr Denken geht nicht über diese Welt hinaus. Richarlison ist nicht so, er ist total anders. Er interessiert sich für die Politiker, die Korruption und Gewalt im Land. Auf den Social-Media-Plattformen tritt er fast wie ein Aktivist auf. Er ist das Gesicht des Teams. Das Publikum liebt ihn, nicht Neymar, da er einer von ihnen ist. Auf dem Platz ist er nicht der Beste, aber er ist ein Kämpfer, ein Arbeiter. Er fightet jede Minute des Matchs.
Jetzt glauben wir an einen Titel, wegen der intakten Gruppe, wegen den guten Individualisten!
Wie sehen Sie die Chancen der Schweiz gegen Brasilien?
Ich werde ehrlich sein. Brasilien ist nach dem ersten Sieg sehr selbstbewusst. Klar, die Schweiz kann gewinnen. Es geht um Fussball, da ist immer alles möglich. Aber die Schweiz wird zuerst ans Verteidigen denken müssen. Und bei Standard-Situationen, einem Freistoss oder einem Eckball hat die Schweiz ihre Chancen.
Letzte Frage: Wie gross ist in Brasilien der Hunger auf einen WM-Titel?
Wir sind am Verhungern! (lacht) 20 Jahre ist es her. Jetzt glauben wir an einen Titel, wegen der intakten Gruppe, wegen den guten Individualisten!