«Mir fehlt die Motivation für das, was ich eigentlich am liebsten mache.» Lia Wälti hat sich noch nie davor gescheut, Klartext zu sprechen. Auch im Skype-Interview aus ihrer Wohnung in London gibt sie tiefe Einblicke in ihre Gefühlswelt in dieser schwierigen Zeit.
Wälti weiss, dass sie als Profi-Fussballerin bei Arsenal privilegiert ist. Dennoch sagt sie: «Es ist extrem schwierig, sich noch zu motivieren. Man braucht diesen Ausgleich, den Kontakt mit Familie und Freunden.» Der fehle derzeit fast komplett.
Keine Fahrgemeinschaften und Essen zu Hause
Die FA Women's Super League hat wie alle Profi-Ligen in England den Betrieb fortgesetzt, allerdings mit äusserst strikten Auflagen. Wälti gibt einen Einblick:
- «Jede Spielerin fährt mit dem eigenen Auto zum Training, Fahrgemeinschaften sind nicht mehr erlaubt.»
- «Ein- bis zweimal pro Woche werden wir getestet. Der Körperkontakt im Training wird so gut wie möglich vermieden und minimiert.»
- «Das Essen bekommen wir auf dem Trainingsgelände, müssen es aber nach Hause nehmen.»
Allgemein werde das Trainingsprogramm in eine kürzere Zeitspanne reingequetscht als üblich. Der Kontakt zu anderen Spielerinnen sei stark beschnitten. «Teambuilding findet nicht mehr statt. Es ist sehr schwierig, das aufrecht zu erhalten. Der Teamspirit lebt eigentlich davon, viel Zeit miteinander zu verbringen», so die 27-Jährige.
Es ist ja auch menschlich, dass einem diese Situation runterzieht. Viele können so nicht auf ihrem Maximum performen.
Im Training würden die Spielerinnen zudem auf Schritt und Tritt von Kameras verfolgt. Wälti führt aus: «Wenn jemand positiv getestet wird, werden diese Bilder ausgewertet. Vor zwei Wochen wurden 7 Spielerinnen in Quarantäne geschickt, weil sie minimalen Kontakt mit einer positiven Person hatten. Das hat uns etwas wachgerüttelt.»
Puzzeln und spazieren
Die Situation nagt sichtlich an der Emmentalerin. Sie versucht, sich bestmöglich abzulenken und auf andere Gedanken zu kommen. So puzzelt sie zum Beispiel gerne und oft oder geht einmal pro Tag auf einen Spaziergang.
Doch vor allem das fehlende Zwischenmenschliche im Team macht ihr zu schaffen. «Wir werden zu Einzelkämpferinnen. Sich gegenseitig noch zu unterstützen ist mit den Distanz-Regelungen schwierig. Die Gefahr ist zu gross, dass bei einem positiven Fall viele Spielerinnen ausfallen.» Man sei distanzierter, aber nicht nur körperlich. «Es ist ja auch menschlich, dass einem diese Situation runterzieht. Viele können so nicht auf ihrem Maximum performen.»
Ich verstehe aber auch Menschen, die frustriert sind. Menschen, die ihre Jobs nicht ausüben können, während hier Fussball als das Wichtigste der Welt erscheint.
England: «Es geht um extrem viel Geld»
Im Frühling während dem ersten Lockdown auf der Insel hatte Wälti klar Stellung bezogen zur geplanten Wiederaufnahme der Meisterschaft: Sie plädierte für ein vorzeitiges Saisonende.
Mittlerweile ist sie zwiespältig: Zum einen fühle sie sich privilegiert und freue sich auch darüber, dass sie weiter Fussballspielen und Geld verdienen könne. «Ich verstehe aber auch Menschen, die frustriert sind. Menschen, die ihre Jobs nicht ausüben können, während hier Fussball als das Wichtigste der Welt erscheint.»
«In England geht es einfach um extrem viel Geld, vor allem in den Männer-Ligen», so Wälti geradeheraus. Weil man aber stets versuche, Frauen gleich zu behandeln, geht es auch bei ihnen weiter – und darüber sei sie sehr froh. «Teilweise wäre es mir aber auch recht, wenn die Saison abgebrochen werden würde, weil ich mental nicht 100% dahinter stehen kann.»