Ein paar Aufwärmrunden, dann erklingen in der Metro Areena von Espoo auch schon die ersten Takte von «Another Level» – der Kurzprogramm-Musik von Lukas Britschgi. Die erste Trainingssession auf dem Wettkampfeis. Für jeden der 6 in dieser Trainingsgruppe wird in vorher festgelegter Reihenfolge einmal die Programm-Musik gespielt.
Der dreifache Schweizer Meister gleitet schnell und energiegeladen über das Eis, virtuos die Schritte, modern die Choreografie, die Pirouetten zeigt er – nur Sprünge macht er nicht. Noch nicht.
Erst, als der nächste Läufer sein Programm präsentiert, setzt Britschgi zu den ersten Sprüngen an. Nicht alle gelingen sofort perfekt, aber mit jeder Trainingsminute wird deutlicher: Der 24-Jährige ist bereit.
Sturzpech und Wettlauf mit der Zeit
Keine Selbstverständlichkeit, denn nach einem erfolgreichen Saisonbeginn, mit ersten Grand-Prix-Starts, zwei internationalen Podestplätzen und neuen Bestleistungen, bremst ihn ein Unfall unsanft ein.
Im November rutscht er in seiner Wahlheimat Oberstdorf (GER) auf dem Heimweg vom Training auf eisigem Untergrund mit dem Velo aus, stürzt und bricht das linke Schlüsselbein. Das Aus für die Schweizer Meisterschaften am 16. Dezember – ein Wettlauf mit der Zeit für die EM. «Seit Weihnachten bin ich wieder auf dem Eis», erzählt Britschgi. «Ich hatte 4 Wochen Zeit, mich für die EM vorzubereiten – es waren 4 intensive Wochen.»
Als Vierfach-Toeloop und Dreifach-Axel wieder und wieder klappen, nicken ein paar der Zuschauer sachkundig und zufrieden. Zwei Daumen recken sie in die Luft und sagen: «Wenn er so läuft, kann er an seine Saisonleistung vor dem Sturz anschliessen und vorne mitmischen».
Auf dem Papier fünftbester Europäer
Mehr als 250 Punkte stehen bei ihm derzeit in der «Seasons Best»-Liste des internationalen Verbandes. Damit ist er in dieser Saison der fünftbeste Europäer. So mancher Kunstlauffan hat ihm schon im Vorjahr einen EM-Platz unter den besten 6 bis 8 Läufern zugetraut.
Damals schlichen sich Fehler in die EM-Programme von 2022 und es wurde Platz 11. Trotzdem ist es das beste Ergebnis für ihn von seinen drei EM-Teilnahmen bisher.
30 Punkte mehr als an der letzten EM ist er in dieser Saison mit seiner neuen Bestleistung in Budapest an einem internationalen Wettkampf gelaufen – tatsächlich «Another Level» für ihn und das macht ihn auf dem Papier auch diesmal zu einem Top-6-Kandidaten.
Zwangspause als Chance für den Kopf
Der Bruch ist verheilt – nichts tut weh, nichts behindert ihn. Nach gut 5 Wochen Pause durfte er wieder aufs Eis, steigerte langsam auch wieder das Sprungpensum. «Die 5 Wochen Zwangspause kamen fürs Eislaufen zur Unzeit», so Britschgi. «Für den Kopf aber waren sie vielleicht sogar gut.» Freunde und Familie sehen, sich etwas mehr dem Studium widmen, all dem gewinnt er auch Gutes ab.
Britschgi ist ein Kämpfer – ein Entertainer auf dem Eis – einer, dem nicht nur sein Trainer Michael Huth einen Platz unter den Allerbesten in Europa und den Besten der Welt wünschen würde. «Mit viel Fleiss und Ehrgeiz hat Lukas dazu beigetragen, dass ein gutes Gesamtpaket gepackt ist», resümiert Huth den gemeinsamen Weg in den letzten Jahren und ergänzt: «Das Paket ist gepackt – die Frage ist, wohin ist es unterwegs?»
Eine erste Antwort gibt es am Mittwoch im Kurzprogramm der Männer.