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Der Europameister vor der WM Britschgi: «Stimmt, ich stufe mich meistens tiefer ein»

Nach den Europameisterschaften und seinem Goldgewinn vor 7 Wochen schwebte Eiskunstläufer Lukas Britschgi im siebten Himmel. Allzu lange hielt seine Glückssträhne nicht an. Kurze Zeit später zog er sich auf dem Eis eine Schnittwunde an einer heiklen Körperstelle zu, musste unters Messer und aussetzen. Die Vorbereitung auf die am Mittwoch beginnende WM in Boston verkürzte sich von 5 auf 3 Wochen.

Unter diesem Aspekt sah sich der Nordostschweizer gezwungen, seine Ambitionen beim nächsten Saison-Höhepunkt nach unten zu korrigieren. Tiefstapeln gehört generell zu seinem Naturell oder womöglich zum Kalkül. Im SRF-Interview blickt Britschgi auf bewegende, turbulente Wochen zurück und versucht, sich vor seinem allerersten Wettkampf in den Vereinigten Staaten realistisch einzuschätzen.

Lukas Britschgi

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Mit EM-Gold in Tallinn ist Lukas Britschgi Anfang Februar der ganz grosse Coup geglückt. Der Schaffhauser kürte sich zum erst 2. Schweizer Eiskunstlauf-Europameister nach Hans Gerschwiler im Jahr 1947. Phänomenal war sein Triumph in Estland auch, weil er nach dem Kurzprogramm im Zwischenklassement nur an 8. Stelle gelegen hatte, dann aber eine sensationelle Kür zeigte, die ihm seinen bisherigen Rekordwert von 184,19 Punkte eintrug.

Britschgi war auf die Saison 2016/17 hin ins Elite-Läufer gewechselt. Seit er Anfang 2019 erstmals Landesmeister geworden ist, darf er seine Farben stets bei Grossanlässen vertreten. Vor 2 Jahren heimste der heute 27-Jährige mit EM-Bronze seine erste internationale Auszeichnung ein. Nun folgt seine 5. Teilnahme an Weltmeisterschaften – er erlebte auf dieser Bühne seit seinem Einstand 2019 einen Steigerungslauf mit den Klassierungen 34, 15, 8 und zuletzt 6 im kanadischen Montreal. Sein Debüt bei Olympischen Winterspielen brachte er 2022 in Peking als 23. hinter sich.

SRF Sport: Wann kehrte nach Ihrem überraschenden EM-Titel wieder etwas Ruhe ein?

Lukas Britschgi: Der Rummel war in der Tat nicht allzu kurz und hielt mindestens 2 Wochen an. Fast nahtlos auf die EM folgte mein Engagement bei Art on Ice, das war eine spezielle Konstellation. Deshalb dauerte es, bis ich alles verarbeiten konnte. Mittlerweile habe ich aber wieder meine Ruhe, wie ich sie mir vorher schon gewohnt gewesen war, und das geniesse ich.

Gab es im Nachgang der Goldmedaille einen Moment, bei dem Ihnen das Herz aufging?

Der Empfang in Zürich am frühen Dienstagnachmittag war überwältigend. So viele Leute, etwa 300, nahmen sich Zeit, um mich zu begrüssen. Dabei war ich davon ausgegangen, dass zu diesem Zeitpunkt alle bei der Arbeit seien. Diese Aufmerksamkeit bedeutet mir viel. Ich hatte so etwas noch nie erlebt.

Werden Sie als Europameister auch in der Szene anders wahrgenommen?

Etwas schon. Die Präsenz nimmt zu, das spürt man. Ich gelte zwar schon seit ein bis zwei Jahren nicht mehr als Underdog. Doch der EM-Titel veränderte meinen Status nochmals und hat nun hoffentlich auch einen Einfluss auf die nächsten Wettkämpfe.

Nun vollziehen Sie den Schritt von der kontinentalen auf die globale Bühne, stehen vor Ihrer 5. WM-Teilnahme. Welche Gegner kommen zusätzlich auf den Radar?

Grundsätzlich ist die Leistungsdichte schon in Europa enorm gross, mit den Franzosen und Italienern als wichtige Player. Nun kommt noch die starke Konkurrenz aus den USA, namentlich vor allem Titelverteidiger Ilia Malinin, aus Japan sowie aus Korea dazu.

Kurzfristig wurde auch das Knie wieder zur Schwachstelle. Ich muss jetzt einfach noch etwas durchbeissen.

Ausgerechnet ein Zwischenfall bei Art on Ice durchkreuzte Ihre WM-Vorbereitung. Was genau war passiert?

Ich hatte im Training zur Show eine spezielle Übung auf dem Eis gemacht und war unglücklich gestürzt. Dabei schnitt ich mich mit der Kufe und musste nähen. Nach einer Woche infizierte sich die Wunde leider. Eine Not-OP war nötig: Die Wunde musste nochmals geöffnet und gesäubert werden. Der Heilungsprozess nahm dann etwas länger in Anspruch.

Von welcher Körperstelle sprechen wir?

(Lacht.) Von einer eher unangenehmen ... Das Ganze war im oberen Bereich des Gesässes. Ich hatte trotzdem Glück im Unglück, weil es nicht die Muskulatur betraf. Ich war nicht allzu sehr eingeschränkt. Mir wurde aber 2 Wochen komplette Ruhe verschrieben.

Sind Sie mittlerweile wieder fit?

Ich bin darauf angewiesen, dass der Schlussspurt unmittelbar vor dem WM-Einsatz gut verläuft und ich nochmals etwas von meinem Trainingsrückstand aufholen kann. Denn kurzfristig wurde auch das Knie wieder zur Schwachstelle, nachdem sich die chronischen Schmerzen zwischenzeitlich gebessert hatten. Weil ich zuletzt aber intensiver hatte trainieren müssen, um in Form zu kommen, meldete sich diese Körperstelle wieder. Ich muss jetzt einfach noch etwas durchbeissen und dem Knie danach wieder mehr Ruhe gönnen.

Eiskunstlauf-WM bei SRF

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Sie können die Titelkämpfe aus Boston wie folgt live verfolgen:

  • Frauen: Kurzprogramm am Mittwoch um 19:15 Uhr zunächst in der Sport App und später auch auf SRF zwei – Kür in der Nacht auf Samstag um 01:00 Uhr in der Sport App, später am Samstag folgt um 13:25 eine Teilaufzeichnung am TV
  • Männer: Kurzprogramm am Donnerstag um 20:15 Uhr im kommentierten Stream in der Sport App – Kür in der Nacht auf Sonntag um 01:00 Uhr in der Sport App, später am Sonntag folgt um 16:30 eine Teilaufzeichnung am TV
  • Eistanz: Kür am Samstag im kommentierten Stream in der Sport App
  • Schaulaufen: Die abschliessende Gala zeigen wir am Sonntag im kommentierten Stream in der Sport App

Folglich waren Sie auch eingeschränkt bei der weiteren Arbeit an Ihrer EM-Gold-Kür?

Die Zeit reichte nicht aus, um gross daran feilen zu können. Mein schwierigster Vierfach-Sprung ist wohl die grösste Baustelle und verlangt mir in mentaler Hinsicht einiges ab. Die Kür wird speziell nach meinem Trainingsrückstand auch zur physischen Herausforderung werden. Aber ich bin guter Dinge.

Mit welchen Ambitionen werden Sie sich ins WM-Abenteuer stürzen?

Die Ausgangslage ist nicht einfach, diese Frage deshalb schwierig zu beantworten. Für mich ist es aktuell schwer zu antizipieren, wie fit ich im technischen Bereich effektiv sein werde. Als vordergründiges Ziel definiere ich, den olympischen Quotenplatz für die Schweiz herauszuholen, also möglichst in die Top 20 zu kommen. Ursprünglich hätte ich gerne die Top 10 angepeilt, eventuell sogar die Top 6. Aber es wird sich weisen müssen, ob dies eine realistische Ansage ist. Deshalb schraube ich vorderhand die Erwartungen lieber etwas runter.

Ist der Traum von einer Medaille vermessen?

Dann müsste ich das Programm meiner Karriere laufen und wäre auf Fehler der Konkurrenz angewiesen ...

Aber Sie hätten doch auch zur Halbzeit bei der EM und Zwischenrang 8 abgewunken, wenn Sie noch jemand zum Europameister ausgerufen hätte?

Das stimmt wohl schon. Aber ich stufe mich generell etwas tiefer ein. Vielleicht auch zum Selbstschutz. Auf diese Weise kann ich ruhiger an den Start gehen.

Gäbe es einen Plan B, sollte es mit dem Olympia-Quotenplatz nicht klappen?

Es bliebe nur noch eine weitere Chance. Kommenden September in Peking werden die letzten 5 Startplätze vergeben. An der WM stehen nun deren 24 auf dem Spiel. Also wäre es sicher einfacher, die Arbeit gleich hier zu erledigen.

Wie gefällt Ihnen der Wettkampfort Boston im US-Bundesstaat Massachusetts?

Ich bin noch überhaupt nie in den USA gelaufen. In den Staaten war ich erst einmal, vor langer Zeit, zusammen mit der Familie in den Ferien. Die Vorfreude ist deshalb riesig. Und die Stimmung in der ausverkauften Halle dürfte speziell am Samstagabend lässig sein.

Das Gespräch führte Deborah Bucher.

SRF zwei, Sportflash, 24.03.2025 20:00 Uhr ; 

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