Es war ein Gedanke, mit dem Giulia Steingruber auch in der Vergangenheit schon gespielt hatte. Nun hat sich die 27-jährige Ostschweizerin endgültig entschieden, ihre äusserst erfolgreiche Karriere zu beenden.
«Heute ist es so weit, und ich gebe meinen Rücktritt bekannt. Mein Körper und mein Kopf sind müde», begründete Steingruber den Rücktritt am Freitag an einer Medienkonferenz in Gossau. Die letzten 5 Jahre seien «kräftezehrend und nervenaufreibend» gewesen.
Vor einem Monat wurde mit Chefcoach Fabien Marti Steingrubers langjähriger Vertrauter entlassen. Doch die Ostschweizerin betonte, dass sich die Rücktrittsgedanken unabhängig davon konkretisiert hatten. Denn Steingruber hatte sich schon nach der corona-bedingten Verschiebung der Olympischen Spiele in Tokio Zeit gelassen mit der Entscheidung, ob sie auch 2021 in Japan dabei sein wird.
Ich bin mit dem Kunstturnen im Reinen.
Doch die erfolgreichste Kunstturnerin der Schweiz kämpfte sich nach einer neuerlichen Verletzung zurück – und hätte ihren dritten Olympia-Auftritt beinahe mit dem Final-Einzug an ihrem Paradegerät, dem Sprung, gekrönt. Am Ende fehlten mickrige 0,05 Punkte. «Ich bin mit dem Kunstturnen im Reinen», so Steingruber. Tokio sei ein sehr schöner Abschluss gewesen.
Olympia- und WM-Bronze als Höhepunkte
Die erfolgreichste Phase ihrer Karriere erlebte die Ostschweizerin 2016, als die Schweizer Fahnenträgerin an den Olympischen Spielen in Rio de Janeiro am Sprung Bronze holte – es war dies die erste Olympia-Medaille für eine Schweizer Kunstturnerin überhaupt.
Ein Jahr später holte Steingruber nach der ersten längeren Verletzungspause ihre erste und einzige WM-Medaille: 2017 in Montreal glänzte sie am Sprung und sicherte sich sensationell Bronze.
Ihren beeindruckenden Palmarès zieren ausserdem 6 Europameistertitel, davon 4 am Sprung sowie jeweils einer am Boden und im Mehrkampf – auch letzteres war vor ihr keiner Schweizerin gelungen.
Eine letzte Goldmedaille in Basel
Zuletzt hatte Steingruber diesen Frühling an der Heim-EM in Basel triumphiert – 20 Jahre, nachdem sie im Alter von 7 mit dem Kunstturnen begonnen hatte. Der nationalen Konkurrenz war Steingruber schon früh entwachsen, wovon nicht weniger als 37 Schweizer Meistertitel zeugen.
Steingruber glänzte in ihrer Karriere nicht nur mit Medaillen en masse, sondern auch mit Innovationen. So präsentierte sie an der WM 2011 in Tokio am Schwebebalken den «Steingruber». Auch vor den Olympischen Spielen in Rio 2016 tüftelte sie lange an einem neuen Sprung, dem Tschussowitina mit einer zusätzlichen halben Schraube. Das Risiko war jedoch zu gross.
Steingruber hinterlässt riesige Lücke
Doch es reichte bekanntlich auch ohne den neuen Sprung für die Olympia-Medaille, die sie nach dem verpassten Sprung-Final bei ihrer Olympia-Premiere 2012 in London als grosses Ziel hatte. Nun wird die hochdekorierte 27-Jährige zunächst eine Weiterbildung im Marketingmanagement absolvieren. Im Schweizer Kunstturnen klafft nach Steingrubers Rücktritt eine riesige Lücke.