Die Radsportwelt ist geschockt, die 86. Schweizer Landesrundfahrt aber wurde einen Tag nach dem tödlichen Unfall von Gino Mäder gleichwohl fortgesetzt. Die Verantwortlichen machten sich den Entscheid keinesfalls einfach. Spät am Freitag, erst kurz vor Mitternacht, war der diskutierte Abbruch vom Tisch.
Stattdessen hiess es vonseiten des Organisators, namentlich von Tour-Direktor Olivier Senn: «Nach Konsultation aller Beteiligter stehen wir geeinigt hinter diesem Beschluss und werden versuchen, die letzten zwei Etappen in einem angemessenen Rahmen durchzuführen.» In den Prozess waren die Absprachen mit Mäders Familie, Fahrern und Teams eingeflossen.
Der Kopf wäre nicht frei gewesen
Längst nicht alle aus dem Feld konnten sich nach der Tragödie aufraffen und zum Rennalltag übergehen. So häuften sich am Samstag nach dem bereits am Vortag verkündeten Ausstieg des Teams Bahrain-Victorious, dem Arbeitgeber des tödlich verunglückten Mäder, die Rückzüge:
- Zunächst tat die 7-köpfige Schweizer Equipe Tudor Pro Cycling ihren Entscheid kund, nicht zur Wiederaufnahme der Tour de Suisse anzutreten. Es handelt sich dabei um das Team des Berner Ex-Profis Fabian Cancellara. Aus Schweizer Sicht betroffen vom Ausstieg sind Sébastien Reichenbach und Roland Thalmann, zwei andere einheimische Teamkollegen hatten bereits am Freitag vor dem geplanten 6. Teilstück Forfait erklären müssen: Für Yannis Voisard, an 26. Stelle liegend der beste Tudor-Schützling im Overall-Klassement, ging es infolge Knieschmerzen nicht mehr weiter, Joel Suter musste wegen Fieber das Handtuch werfen.
- Mit Stefan Küng (Groupama-FDJ), Marc Hirschi (UAE Team Emirates), dem Ende Saison zurücktretenden Michael Schär (AG2R Citroën) sowie Mauro Schmid (Soudal Quick Step) nahmen sich 4 für andere Equipen fahrende Schweizer aus eigenem Antrieb aus dem Rennen. Sie schätzten die mentale Belastung als zu gross ein. Küng hat das Auftakt-Zeitfahren gewonnen, trug 2 Tage das Leadertrikot und wäre auch am Sonntag zum Abschluss des Heimrennens im Einzel-Zeitfahren von St. Gallen nach Abtwil favorisiert gewesen.
- Schliesslich ist auch die belgische Mannschaft Intermarché-Circus-Wanty mit Biniam Girmay, dem eritreischen Etappensieger vom Montag, am Schluss-Wochenende der Tour de Suisse nicht mehr vertreten.
Somit verbleiben 20 Equipen im Rennen. Aus Schweizer Sicht gehören einzig noch Silvan Dillier, Stefan Bissegger und Reto Hollenstein dem Feld an. Total nur noch 113 Pedaleure machten sich am Samstagmittag nach einer Schweigeminute auf das vorletzte Teilstück zwischen Tübach und Weinfelden.
Die Übriggebliebenen sind mit Trauerflor unterwegs
Das Team Tudor verkündete via Twitter, dass dem Entscheid reifliche Überlegungen und intensive interne Gespräche vorausgegangen seien. Schliesslich erachtete man die Umstände aber als zu gravierend und wollte ein Zeichen setzen, um dem verstorbenen Mäder Respekt zu zollen. «Wir denken, dass dies für uns die menschlichste Art ist, die Gefühle unserer Fahrer zu respektieren und Gino zu ehren.»
Von offizieller Seite her nahm man trotz Tour-Fortsetzung Anpassungen vor. Es galten einige spezielle Regeln, um die Sicherheit der emotional schwer getroffenen Athleten zu erhöhen. So erfolgte am Start in Tübach kein Startschuss, stattdessen wurden Tauben fliegen gelassen. Die Fahrer trugen Trauerflor.
Die Zeitmessung für die Gesamtwertung erfolgte ausnahmsweise schon beim letzten Bergpreis, 25 km vor dem Ziel. Zudem entfielen die Bonussekunden beim Zwischensprint in Türlen und am Ziel. Der Tagessieger wurde nach 183,5 km auf der Zielgeraden in Weinfelden erkoren.