Vor nicht allzu vielen Jahren nahm Marco Odermatt noch Tipps von Mauro Caviezel oder Beat Feuz entgegen, den damals Arrivierten im Schweizer Speed-Team. Mittlerweile ist er es, der den aufstrebenden Kräften die Ratschläge gibt. Was ihm keine Mühe bereite, wie Odermatt sagt, ausser – und da nutzt er in einer Medienrunde am Mittwochabend im Schweizer Hotel in Kitzbühel die Gelegenheit zu einer scherzhaften Bemerkung – bei «Franjo, dem sollte ich künftig wohl ein bisschen weniger Tipps geben».
Denn nahe, schon sehr nahe, ist ihm Franjo von Allmen in dieser Saison gerückt. Der unbekümmerte Youngster aus dem Berner Oberland klassierte sich in den letzten drei Abfahrten jeweils hinter Odermatt (in Gröden und Wengen) und Alexis Monney (Bormio) auf dem 2. Rang.
Von Allmens Aufstieg an die Weltcup-Spitze ging sehr zügig vonstatten. Was auch Odermatt betont: «Franjo hat seinen Plan durchgezogen und schnell Fortschritte erzielt. Dabei war er schon immer einer, der nicht auf viele Tipps angewiesen war.»
Ich habe mich in meinen ersten Jahren in Kitzbühel, als ich jeweils sehr frisch ans Werk ging, fast näher am Sieg gefühlt als heute.
Odermatt «breiter aufgestellt und konstanter»
Die Beziehung zwischen den beiden Ausnahmekönnern hat sich in den letzten Jahren entwickelt, und zwar «alles im guten Sinn», wie Von Allmen betont. Der 23-Jährige, der vor Wochenfrist mit dem Super-G in Wengen seinen ersten Sieg im Weltcup feiern durfte, sieht sich sportlich im Vergleich mit Odermatt «noch nicht ganz auf dem gleichen Niveau. Marco ist breiter aufgestellt und konstanter als ich.»
Die Schrecksekunde im zweiten Training, als es ihm bei der Hausbergkante nach einem weiten Satz die Ski überkreuzte, habe er «sofort» abgehakt, so Von Allmen. Gleichzeitig gab er zu, dass er sich mit dieser Stelle «noch nicht ganz angefreundet» habe. 2024 war der Streif-Debütant in der zweiten Abfahrt unterwegs zu einem Podestrang, ehe er unmittelbar nach der Hausbergkante das Tor bei der Einfahrt in die Traverse verpasste.
Mit Flow und Vollgas
Odermatt derweil steht vor seiner achten Abfahrt auf der Streif und peilt den Premieren-Sieg an. Im Rückblick «habe ich mich in meinen ersten Jahren in Kitzbühel, als ich jeweils sehr frisch ans Werk ging, fast näher am Sieg gefühlt als heute. Es ist fast wie jetzt bei Franjo: Man kommt in einen Flow und gibt einfach Vollgas.»
Odermatt verfügt selbstredend über das gesamte Paket, um heuer auf der mythischen Streif der Schnellste zu sein und die letzte grosse Lücke in seinem Palmarès zu schliessen. Gut möglich aber auch, dass ihn ein Berner Youngster, der bislang noch nie eine Weltcup-Abfahrt für sich entschieden hat, in den Schatten stellen wird. Und keineswegs ausgeschlossen ist, dass am Samstag einem lachenden Dritten der erfolgreiche Streif-Zug gelingt.