Zum Inhalt springen
Audio
Tiere als Reservoire von Coronaviren
Aus Wissenschaftsmagazin vom 12.03.2022. Bild: IMAGO Images / agefotostock
abspielen. Laufzeit 8 Minuten 39 Sekunden.

WHO ruft zu Massnahmen auf Unbekannte Coronavariante in Tieren entdeckt

Das Corona-Virus verbreitet sich auch in Katzen, Hunden, Mardern und Hirschen. Was bedeutet das für Mensch und Tier?

Im Herbst 2021 beschloss ein kanadisches Forschungsteam der Universität Toronto, die Weisswedelhirsche der Provinzen Ontario und Quebec auf Sars-CoV-2 zu untersuchen. Berichte aus den USA liessen die Wissenschaftler vermuten, dass ein Teil der Population infiziert war. Tatsächlich waren viele Hirsche corona-positiv – auch wenn die Tiere daran nicht erkrankten.

Die Hirsche aus Quebec hatten eine Variante, die praktisch identisch war mit Delta. Doch bei denen aus Ontario erwartete die Forschenden eine Überraschung: «Wir fanden eine völlig neue, unbekannte Variante von Sars-CoV-2 – nichts, was jemals unter Menschen zirkuliert hatte», sagt Samira Mubareka, Mitautorin der Studie, die Anfang März als Preprint erschienen ist.

Wir fanden eine völlig neue, unbekannte Variante von Sars-CoV-2 – nichts, was jemals unter Menschen zirkuliert hatte.
Autor: Samira Mubareka Mitautorin der Studie

Tiere als Reservoire

Dass Viren in Tieren erhalten bleiben und sich weiterentwickeln, ist an sich nichts Ungewöhnliches, erklärt Gertraud Schüpbach, Professorin an der Vetsuisse Fakultät der Universität Bern: «Bei Tieren herrscht ein anderer Druck auf Viren, sich zu verändern.»

Allerdings kommt es für Schüpbach unerwartet, dass dies in Nordamerika gerade bei Weisswedelhirschen passiert ist: «Hirsche wären für mich nicht die verdächtigsten Tiere gewesen, sich anzustecken, weil sie normalerweise keinen engen Kontakt zu Menschen haben.» Die Berner Forscherin vermutet deshalb, dass noch andere Überträgertiere im Spiel waren. Wildlebende Fleischfresser wie Marder zum Beispiel: Von ihnen weiss man, dass sie für das Virus sehr empfänglich sind, ebenso wie Füchse, Katzen – oder Nerze.

15 Millionen Nerzen getötet

Man erinnert sich an die makabre Aktion im Mai 2020, als in Dänemark die gesamte Nerz-Population gekeult wurde. In der engen Massentierhaltung auf den Nerzfarmen hatte sich das Virus unter den Tieren sehr stark verbreitet und war zudem mutiert.

Ein europäischer Nerz guckt aus seinem Bau.
Legende: Fleischfresser wie der Nerz sind besonders empfänglich für das Virus. IMAGO / Reiner Bernhardt

Ob dies die Tötung von 15 Millionen Nerzen rechtfertigte, sei rückblickend schwierig zu beurteilen, sagt Gertraud Schüpbach. «Als Vorsorgemassnahme war es möglicherweise sinnvoll, aber es kann genauso gut sein, dass das Virus von allein wieder ausgestorben wäre, weil Omikron sich viel besser ausbreitet.»

Internationale Organisationen warnen

Welche Schlüsse ziehen Forschung und offizielle Stellen aus solchen Erfahrungen nach zwei Jahren Pandemie? Die Weltgesundheitsorganisation WHO hat dazu kürzlich ein Statement veröffentlicht, zusammen mit der FAO – der Ernährungs- und Landwirtschaftsorganisation der UNO und der Organisation für Tiergesundheit OIE.

Die drei internationalen Organisationen rufen die Länder zu Massnahmen auf, um Tier-Reservoire von Sars-CoV-2 möglichst zu verhindern «und so das Risiko von unbekannten Varianten einzudämmen, die wieder auf den Menschen überspringen könnten.»

Schnittstellen besser kontrollieren

Gertraud Schüpbach begrüsst den Appell – man müsse die Schnittstellen zwischen Mensch und Tier viel besser kontrollieren. Am Beispiel der kanadischen Weisswedelhirsche: «Die sind für Menschen erst mal noch nicht gefährlich, weil sie ja wenig in Berührung kommen mit Menschen», erklärt die Berner Forscherin. «Aber dann stellt sich die Frage: Wo sind die Jäger, die die Tiere jagen, auf welchen Märkten werden diese gehandelt, wie sind die internationalen Handelsnetzwerke organisiert.» Das müsse man untersuchen.

Übertragung von Tier auf Mensch

Box aufklappen Box zuklappen

Nicht nur für Hirsche gilt dies, sondern für Wildtiere allgemein. Denn vielen Infektionskrankheiten und möglichen Pandemien liegt ein gemeinsames Muster zugrunde, so Gertraud Schüpbach: «Zu einem ‹Spillover›, zu einem Übertreten von Viren auf den Menschen oder Nutztier-Populationen kann es dann kommen, wenn geschlossene Ökosysteme von aussen gestört werden.»

Das passiere etwa beim Handel mit Wildtieren, ebenso auf Märkten, wo Wild- und Nutztiere auf engem Raum und unter schlechten hygienischen Bedingungen gehalten werden. «Hier kann man mit besserer Kontrolle einiges erreichen.»

Ob es allerdings gelingen wird, Tier-Reservoire von Sars-CoV-2 abzuwenden – man darf es bezweifeln. Das Virus ist so stark verbreitet, dass sich irgendwo auf der Welt wohl immer und immer wieder irgendein Tier damit anstecken wird.

Wissenschaftsmagazin, 12.03.2022, 12:40 Uhr

Meistgelesene Artikel