Der Nobelpreis für Medizin geht in diesem Jahr an die US-Amerikaner Victor Ambros und Gary Ruvkun, das teilte das Karolinska-Institut in Stockholm mit.
Sie erhalten den Preis für die Entdeckung der MicroRNA und ihrer Rolle bei der Genregulierung.
Ihre Entdeckung revolutionierte das bisherige Verständnis für Genregulation.
Ruvkun und Ambros, die beiden Preisträger, stellten sich eine der grundlegendsten Fragen des Lebens: Wie kann aus einer einzigen, befruchteten Eizelle ein komplexer Organismus mit ganz vielen verschiedenen Zellen entstehen? Und das, obwohl alle diese unterschiedlichen Zellen über den genau gleichen Bauplan, die DNA, verfügen?
Wie wird aus einer Eizelle und einem Spermium ein Mensch, mit Haut, Haar und Hirn? Die befruchtete Eizelle vermehrt sich ja durch Zellteilung. Bei der wird derselbe Bauplan von Zelle zu Zelle weitergegeben. Warum also unterscheiden sich am Ende die Zellen so sehr? Mit Lunge, Herz und Nieren? Mit Muskelzellen, Darmzellen, Nervenzellen? Zellen, die alle nicht nur ganz unterschiedlich aussehen, sondern auch vollkommen unterschiedlich funktionieren?
Gene werden reguliert
Alle Zellen eines Organismus haben sozusagen die gleichen Voraussetzungen, denn sie verfügen über die gleichen Gene. Das heisst aber nicht, dass sie alle Gene gleich «nutzen». So sind Gene in manchen Zellen aktiv, in andern nicht. Ein Beispiel: das Gen für Insulin - also die Bauanleitung in der DNA - findet man in jeder einzelnen menschlichen Zelle. Aber nur spezialisierte Zellen in der Bauchspeicheldrüse produzieren auch wirklich Insulin.
In allen anderen Zellen ist das Gen «inaktiv». Unterschiedliche Zellen entstehen also durch unterschiedlich aktive Gene. Nur – wie werden Gene aktiv oder inaktiv, also ein- oder ausgeschaltet, wie werden sie reguliert? Auf diese Frage haben die neuen Nobelpreisträger eine neue Antwort gefunden.
Fadenwurm führt zum Durchbruch
Bei der Suche nach Antworten nutzen die beiden Forscher einfache Fadenwürmer (
C. elegans
). Unscheinbare, aber genau für diese Forschung faszinierende Tiere.
Der Winzling hinter dem Nobelpreis
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Eigentlich ist er nur etwa ein Millimeter klein, besteht im Wesentlichen aus einem Darmschlauch, der sich bakterienschlürfend durch seine kleine Welt futtert, zum Beispiel in Komposthaufen oder verwesendem Laub. Die gesamte Anatomie des Fadenwurms ist sichtbar, als würde sie ständig durchleuchtet werden.
Doch dieses bizarre, längliche Geschöpf mit dem Namen C. elegans ist einer der beliebtesten Modellorganismen im Labor für biologische Forschung und hat den beiden diesjährigen Medizinnobelpreisträgern, Victor Ambros und Gary Ruvkun, nun zu Ruhm und Ehre verholfen. Sie konnten mit ihren wissenschaftlichen Arbeiten anhand des Fadenwurms zeigen, wie kleine RNA-Schnipsel die Produktion spezifischer Proteine in einer Zelle stoppen können.
Der durchsichtige Winzling war der erste mehrzellige Organismus, dessen Genom vollständig sequenziert wurde. Das Tier besteht aus rund 1000 Zellen. Forschende rund um den Globus nutzen ihn seither als eine Art genetischen Werkzeugkasten, um unter anderem die Grundlagen von Erkrankungen des Menschen besser zu verstehen. Der Wurm ist besonders interessant, weil er trotz seiner geringen Grösse wichtige Zelltypen etwa von Muskeln, dem Verdauungstrakt oder des Nervensystems besitzt.
C. elegans befruchtet seine Eier praktischerweise gleich selber. Der Wurm ist Hermaphrodit, ein männlich-weibliches Mischwesen. Reine Männchen gibt es auch noch. Aber sie sind rar und machen nur 0,2 Prozent aller Exemplare aus. Es sei eigentlich «mehr ein Unfall, wenn sie entstehen», wie die Wissenschaftlerin Silvia Vogl in einem Bericht vom Bundesinstitut für Risikoforschung schmunzelnd erzählte. Wichtig sind sie dennoch, denn die sexuelle Vermehrung «frischt» das Erbgut des Wurms auf und bewahrt es vor dem Niedergang.
In diesen Würmern finden sie 1993 ein kurzes RNA-Schnipsel – sie nennen es «MicroRNA». Diese MicroRNA hat eine Funktion: Sie reguliert die Genaktivität.
Neuer Mechanismus entdeckt
MicroRNA macht dies mit einem bis dahin unbekannten Mechanismus. Sie schaltet nicht etwa Gene direkt ein und aus (wie das manche Proteine können). Die kleinen RNA-Stücke setzen woanders an – nämlich bei der mRNA. Das ist die Kopie eines Genes, aus der schlussendlich ein Protein entstehen kann. MicroRNA bindet spezifisch an mRNA – und verhindert damit die Proteinproduktion – macht das Gen also inaktiv.
Erst im Jahr 2000 finden die Forscher eine zweite MicroRNA im Fadenwurm. Und plötzlich ist sie überall. Man findet sie in allen mehrzelligen Organismen. Im Menschen gibt es über 1'000. Inzwischen ist klar: MicroRNAs sind fundamental für die Entwicklung und Funktion von Lebewesen. So ist es auch nicht überraschend, dass Fehlfunktionen zu Krankheiten führen können, unter anderem Krebs.
Ein «Hurra!» für die Grundlagenforschung
MicroRNAs sollen einst auch zu Therapien frühen. Klinische Studien zur Behandlung von Krebs, Kreislauferkrankungen, Hepatitis C oder Fibrose, die auf MicroRNAs beruhen, laufen bereits. Sie sind aber noch weit von einer alltäglichen Anwendung. Insofern ist der Preis vorrangig eine Auszeichnung für die Entdeckung eines neuen, fundamentalen physiologischen Prozesses.
Vergabe der Preise nach Alfred Nobels letztem Willen
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Die Nobelpreise sollen laut Nobels Testament diejenigen ehren, die der Menschheit in den einzelnen Kategorien im vorangegangenen Jahr den grössten Nutzen erwiesen haben. Sie können dabei an eine Einzelpreisträgerin beziehungsweise einen Einzelpreisträger oder bis zu drei Gewählte gleichzeitig gehen. Gerade in den Wissenschaftskategorien kommt es häufig vor, dass mehrere Preisträgerinnen und Preisträger gemeinsam geehrt werden, die zum Beispiel zum selben Themenfeld geforscht haben.
Feierlich überreicht werden alle Nobelpreise traditionell an Nobels Todestag am 10. Dezember. Dotiert sind die Auszeichnungen in diesem Jahr erneut mit elf Millionen schwedischen Kronen (rund 910'000 Schweizer Franken) pro Kategorie. Teilen sich zwei Personen die Ehrung, wird dieses Preisgeld unter ihnen aufgeteilt.
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