Zum Inhalt springen

Nobelpreis für Chemie 2024 Proteine: Wie Forschende mit KI den Code des Lebens knacken

  • Demis Hassabis und John M. Jumper können mithilfe von KI die dreidimensionale Struktur fast aller bisher bekannten Proteine vorhersagen. 
  • David Baker beherrscht die Bausteine des Lebens und kann völlig neue Proteine erschaffen.

Hörner, Federn, Muskeln, Hormone oder auch Antikörper – in allem steckt die vielfältige Magie der Proteine, die essenziell für alle Lebewesen sind. Denn sie geben Zellen nicht nur Struktur. Sie regulieren zum Beispiel auch als Enzyme biochemische Reaktionen in unserem Körper, übertragen biologische Signale in unsere Zellen oder transportieren Moleküle wie Sauerstoff.  

Das Potenzial dieser vielfältigen Alleskönner, die aus mehreren Dutzend bis Tausend Aminosäuren zu einer Kette zusammengesetzt sind, ist enorm. Denn je nachdem wie diese Kette gefaltet, verdreht und verknäuelt ist, haben Proteine völlig andere Eigenschaften und Funktionen. Der diesjährige Nobelpreis für Chemie würdigt die Erforschung dieser faszinierenden chemischen Werkzeuge unseres Lebens.  

Vom Schachmeister zur Protein-Olympiade  

Der Erfolg der drei Preisgekrönten hat viel mit ihren ungewöhnlichen Biografien zu tun. Der heute 48-jährige Demis Hassabis spielt im Alter von vier Jahren schon Schach, erreicht als 13-Jähriger Meisterniveau und macht schliesslich als Teenager Karriere als Programmierer und Spieleentwickler. 2010 ist er Mitbegründer von DeepMind, einem Unternehmen, das meisterhafte KI-Modelle für Brettspiele entwickelt und 2014 an Google verkauft wird. Er arbeitet an einer Lösung für das beliebte, alte Brettspiel Go und erschafft AlphaGo, das 2016 den südkoreanischen Grossmeister Lee Sedol besiegt. 

Nobelpreisgewinner David Baker, Demis Hassabiss und John M. Jumper.
Legende: Die drei Preisträger von links nach rechts: David Baker, Demis Hassabis und John M. Jumper. Collage: SRF

Für den Briten Hassabis ist dies jedoch nicht das Ziel, sondern eher das Mittel zur Entwicklung besserer KI-Modelle. Sein Team nimmt 2018 beim CASP-Wettbewerb teil, der «Protein-Olympiade». Dort sagen sie mit dem KI-Modell AlphaFold erstmals Proteinstrukturen mit einer Genauigkeit von fast 60 Prozent vorher. Dennoch funktioniert der Algorithmus nicht so zuverlässig, wie erhofft.

Erst als der neue Mitarbeiter John Jumper dazustösst, kommt neuer Schwung auf. Der junge KI-Experte und Physiker, der 1985 in den USA geboren wurde, hört Gerüchte: Google DeepMind versuche unter grosser Geheimhaltung, Proteinstrukturen vorherzusagen. Jumper schickt daraufhin eine Bewerbung los. Zusammen mit Hassabis entsteht die neue Version AlphaFold2, die mit neuronalen Netzwerken funktioniert.  

AlphaFold zeigt die Vielfalt an Proteinstrukturen

Kurzum: Die beiden sagen die Struktur von fast allen 200 Millionen Proteinen voraus, die man bisher von Organismen kennt. Google DeepMind hat den Code für AlphaFold2 auch öffentlich zugänglich gemacht, sodass dieses KI-Modell zu einer Goldgrube für Forschende wird. Früher dauerte es oft Jahre, bis Forschende eine Proteinstruktur entschlüsselt haben. Jetzt kann dies in wenigen Minuten erledigt werden.    

Genialer Quereinsteiger

Der dritte Preisträger, David Baker, der eigentlich Philosophie und Sozialwissenschaften studierte, entdeckt damals sein Interesse für Evolutionsbiologie. Fasziniert von den Bausteinen des Lebens, entwickelt er Ende der 90er Jahre Rosetta, eine Computersoftware, um Proteinstrukturen vorherzusagen.  

Diagramm zur Proteinstrukturvorhersage mit neuronalen Netzwerken.
Legende: Johan Jarnestad / The Royal Swedish Academy of Sciences/ SRF

Doch dann kommt der heute 62-jährige Amerikaner Baker auf die Idee, die ganze Sache umgekehrt zu verwenden. Er designt massgeschneiderte Moleküle. So kreiert er etwa ein Protein, das die gefährliche Droge Fentanyl in der Umwelt detektiert, oder baut ein Grippevirus aus Nanopartikeln und Proteinen als möglichen Impfstoff nach.

Neuronale Netze in der Wissenschaft: Eine Erfolgsstory 

Box aufklappen Box zuklappen

Der breiten Öffentlichkeit sind künstlich intelligente Tools seit rund zwei Jahren bekannt. Heute halten immer mehr künstlich intelligente Programme wie ChatGPT, Gemini, Midjourney und Dall-E Einzug in unseren Arbeitsalltag.  

Für Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler ist das alles gar nicht so neu. Künstlicher Intelligenz liegen häufig Computerprogramme zugrunde, die man «neuronale Netze» nennt. Sie sind eine Art simple Nachbildung dessen, wie unser Gehirn funktioniert. 

Nun erhält dieses Forschungsfeld, das eben nicht nur die Wissenschaft, sondern auch unseren Alltag immer mehr durchdringt, gleich doppelt Anerkennung bei den diesjährigen Nobelpreisen. Gestern ging der Physiknobelpreis an zwei Forschende, welche die Grundlagen für neuronale Netze entwickelt haben .  

Beim Chemienobelpreis wird eine ganz konkrete Anwendung eines neuronalen Netzes geehrt: Demis Hassabis und John M. Jumper erhalten den Nobelpreis für einen Algorithmus, der aus Aminosäurensequenzen vorhersagen kann, welche Struktur ein Protein haben wird.  

Nobelpreise im Zeichen der künstlichen Intelligenz. Das fällt auch Zuschauerinnen und Zuschauern im YouTube-Livestream der Zeremonie auf. Ein User witzelt: «Den Literaturpreis wird eine künstliche Intelligenz gewinnen, die ein Gedicht oder eine Story oder sowas geschrieben hat.» 

SRF 4 News, 09.10.2024, 12:00 Uhr

Meistgelesene Artikel