- Demis Hassabis und John M. Jumper können mithilfe von KI die dreidimensionale Struktur fast aller bisher bekannten Proteine vorhersagen.
- David Baker beherrscht die Bausteine des Lebens und kann völlig neue Proteine erschaffen.
Hörner, Federn, Muskeln, Hormone oder auch Antikörper – in allem steckt die vielfältige Magie der Proteine, die essenziell für alle Lebewesen sind. Denn sie geben Zellen nicht nur Struktur. Sie regulieren zum Beispiel auch als Enzyme biochemische Reaktionen in unserem Körper, übertragen biologische Signale in unsere Zellen oder transportieren Moleküle wie Sauerstoff.
Das Potenzial dieser vielfältigen Alleskönner, die aus mehreren Dutzend bis Tausend Aminosäuren zu einer Kette zusammengesetzt sind, ist enorm. Denn je nachdem wie diese Kette gefaltet, verdreht und verknäuelt ist, haben Proteine völlig andere Eigenschaften und Funktionen. Der diesjährige Nobelpreis für Chemie würdigt die Erforschung dieser faszinierenden chemischen Werkzeuge unseres Lebens.
Vom Schachmeister zur Protein-Olympiade
Der Erfolg der drei Preisgekrönten hat viel mit ihren ungewöhnlichen Biografien zu tun. Der heute 48-jährige Demis Hassabis spielt im Alter von vier Jahren schon Schach, erreicht als 13-Jähriger Meisterniveau und macht schliesslich als Teenager Karriere als Programmierer und Spieleentwickler. 2010 ist er Mitbegründer von DeepMind, einem Unternehmen, das meisterhafte KI-Modelle für Brettspiele entwickelt und 2014 an Google verkauft wird. Er arbeitet an einer Lösung für das beliebte, alte Brettspiel Go und erschafft AlphaGo, das 2016 den südkoreanischen Grossmeister Lee Sedol besiegt.
Für den Briten Hassabis ist dies jedoch nicht das Ziel, sondern eher das Mittel zur Entwicklung besserer KI-Modelle. Sein Team nimmt 2018 beim CASP-Wettbewerb teil, der «Protein-Olympiade». Dort sagen sie mit dem KI-Modell AlphaFold erstmals Proteinstrukturen mit einer Genauigkeit von fast 60 Prozent vorher. Dennoch funktioniert der Algorithmus nicht so zuverlässig, wie erhofft.
Erst als der neue Mitarbeiter John Jumper dazustösst, kommt neuer Schwung auf. Der junge KI-Experte und Physiker, der 1985 in den USA geboren wurde, hört Gerüchte: Google DeepMind versuche unter grosser Geheimhaltung, Proteinstrukturen vorherzusagen. Jumper schickt daraufhin eine Bewerbung los. Zusammen mit Hassabis entsteht die neue Version AlphaFold2, die mit neuronalen Netzwerken funktioniert.
Kurzum: Die beiden sagen die Struktur von fast allen 200 Millionen Proteinen voraus, die man bisher von Organismen kennt. Google DeepMind hat den Code für AlphaFold2 auch öffentlich zugänglich gemacht, sodass dieses KI-Modell zu einer Goldgrube für Forschende wird. Früher dauerte es oft Jahre, bis Forschende eine Proteinstruktur entschlüsselt haben. Jetzt kann dies in wenigen Minuten erledigt werden.
Genialer Quereinsteiger
Der dritte Preisträger, David Baker, der eigentlich Philosophie und Sozialwissenschaften studierte, entdeckt damals sein Interesse für Evolutionsbiologie. Fasziniert von den Bausteinen des Lebens, entwickelt er Ende der 90er Jahre Rosetta, eine Computersoftware, um Proteinstrukturen vorherzusagen.
Doch dann kommt der heute 62-jährige Amerikaner Baker auf die Idee, die ganze Sache umgekehrt zu verwenden. Er designt massgeschneiderte Moleküle. So kreiert er etwa ein Protein, das die gefährliche Droge Fentanyl in der Umwelt detektiert, oder baut ein Grippevirus aus Nanopartikeln und Proteinen als möglichen Impfstoff nach.