Das Cern entstand 1954 als Friedensprojekt, hilft seitdem Physikern, die Welt zu erklären, schenkte uns das Internet, ist je länger, je mehr auch umstritten – und wird nun 70 Jahre alt: Was man dazu wissen muss.
Wie das Cern «geboren» wurde
Nach dem Zweiten Weltkrieg ist die Naturwissenschaft in Europa am Boden. Kernphysiker hierzulande haben keine Chance gegen die Amerikaner, die damals in New York gerade ein neues Forschungsgrossgerät bauen, den Protonensynchrotron.
Unterstützung finden sie ausgerechnet bei einem Schriftsteller, dem Schweizer Denis de Rougemont. Er gehört zur sogenannten «Europäischen Bewegung» und findet: europäische Kooperation im Dienste der Teilchenphysik ist genau das, was es für Frieden und Völkerverständigung braucht.
Den konkreten Plan für das Cern schlägt der Physiker und Nobelpreisträger Louis de Broglie auf einem Kongress vor, den der Schriftsteller de Rougemont in Lausanne organisiert. Fünf Jahre später wird das Cern gegründet.
Das Higgs-Teilchen wird gefunden
Das Higgs-Boson war lange Zeit das einzige Teilchen im sogenannten Standardmodell (siehe Box), das nicht experimentell nachgewiesen werden konnte. Klar war, dass die Masse des Higgs-Teilchens gross sein muss.
Hier kommt der Large Hadron Collider LHC ins Spiel: Um Teilchen mit hoher Masse zu erzeugen, braucht man sehr hohe Energiedichten. Die wurden am LHC möglich. 2012 dann der Durchbruch: das Higgs-Teilchen wird tatsächlich nachgewiesen.
Ein Nebenprodukt: die Erfindung des Internets
http://info.cern.ch, das ist 1990 die erste Website der Welt. Online gestellt hat sie Tim Berners-Lee, der als junger Mann am Cern arbeitet. Er hat 1989 den html-Code entwickelt, der bis heute Grundlage des Internets ist. Eigentlich war er auf der Suche nach einer einfachen Methode, mit der Forschungszentren Informationen via Computer gemeinsam nutzen können.
Wie ist unser Universum entstanden?
Ein Forschungsziel am Cern ist zu klären, was direkt nach dem Urknall geschah. Man vermutet, dass das Universum in den ersten Mikrosekunden nach dem Urknall eine sehr heisse und dichte Suppe aus Quarks und Gluonen war, ein sogenanntes Quark-Gluon-Plasma.
Das Alice-Experiment am Cern zum Beispiel soll die Eigenschaften dieses Quark-Gluon-Plasmas klären. Andere Experimente (Atlas und CMS) untersuchen, was noch früher, weniger als eine Pikosekunde nach dem Urknall, geschah.
Das Cern: die Geschichte in Bildern
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Bild 1 von 9. Der Plan. Im Dezember 1949 schlägt der französische Physiker Louis de Broglie erstmals die Einrichtung eines europäischen Labors vor. 1951 wird der Vorschlag angenommen. Ein provisorischer Rat, der «Conseil Européen pour la Recherche Nucléaire», kurz Cern, erarbeitet die Gründung der Organisation. Das Foto stammt von einer Sitzung des Rats im Jahr 1952. Bildquelle: CERN.
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Bild 2 von 9. Die Gründung. Das Übereinkommen zur Gründung der Organisation wird vom Provisorischen Rat im Sommer 1953 in Paris unterzeichnet und in der Folge ratifiziert. Offiziell wird der Europäische Rat für Kernforschung am 29. September 1954 gegründet. Zwölf Staaten sind Gründungsmitglieder, darunter auch die Schweiz. Im Jahr 2024 hat das Cern 23 Mitgliedstaaten. Bildquelle: CERN.
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Bild 3 von 9. Der erste Teilchenbeschleuniger. 1957 geht das Synchrozyklotron (SC), ein Protonenbeschleuniger, als erster Cern-Beschleuniger in Betrieb. In der 70-jährigen Geschichte wird das Cern mit mehreren stärkeren Beschleunigern erweitert. Der SC wird 1990 stillgelegt. Bildquelle: CERN.
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Bild 4 von 9. Die erste Revolution. 1968: Georges Charpak, ein Physiker am Cern, erfindet ein Gerät, das die Aufzeichnung von Teilchenkollisionen revolutioniert. Die «Mehrdraht-Proportionalkammer» erfasst Kollisionen elektronisch, statt durch Fotos. Damit wird die Teilchenphysik revolutioniert. Diese Erfindung bringt Charpak 1992 den Nobelpreis für Physik ein. Bildquelle: CERN.
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Bild 5 von 9. Ein weiterer Nobelpreis. 1983 werden im Mai die W- und Z-Bosonen entdeckt. Es sind Elementarteilchen, sie vermitteln die schwache Wechselwirkung, eine fundamentale Grundkraft in der Physik. Carlo Rubbia und Simon van der Meer erhalten dafür 1984 den Nobelpreis. Bildquelle: CERN.
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Bild 6 von 9. Das WWW verändert die Welt. 1989: Tim Berners-Lee, Informatiker am Cern, hat eine Idee. Er will Datennetzwerke und Hypertext verschmelzen. So will er Forschungsergebnisse einfacher mit Kollegen austauschen. 1990 sind der erste Server und Webbrowser am Cern betriebsbereit. 1994 hat das Web bereits 10'000 Server und zehn Millionen Nutzer. Bildquelle: CERN.
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Bild 7 von 9. Gleich nach dem Big Bang. Eine Kombination mehrerer Experimente liefert im Jahr 2000 Beweise für die Existenz von Quark-Gluon-Plasma. Jenem Zustand der Materie, von dem angenommen wird, dass er kurz nach dem Urknall existierte. Bildquelle: CERN.
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Bild 8 von 9. Der grösste und stärkste der Welt. 2008, am 10. September um 10:28 Uhr, wird der Large Hadron Collider (LHC) erstmals in Betrieb genommen. Der grösste Teilchenbeschleuniger der Welt. 2009 produziert der LHC die erste Teilchenkollision. Bildquelle: CERN.
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Bild 9 von 9. Das Higgs-Teilchen. 2012 applaudiert die Wissenschaft. Am 4. Juli wird bekannt gegeben, das Higgs-Boson sei mit grosser Wahrscheinlichkeit gefunden. Das Teilchen ist Teil einer bereits 1960 von Peter W. Higgs vorgeschlagenen Theorie, die erklärt, wie Masse entsteht. Weitere Analysen bestätigen den Fund, Peter W. Higgs erhält 2013 den Nobelpreis. Bildquelle: CERN.
Noch grösser, noch stärker? Das nächste Projekt steht in den Startlöchern
Die Zukunft des Cern soll der Future Circular Collider sein, ein 90 Kilometer langer kreisförmiger Tunnel – dreimal so gross wie der jetzige Teilchenbeschleuniger. Er soll unter Frankreich und der Schweiz verlaufen, 200 Meter unter der Erde. Die Kosten werden auf 21 Milliarden Franken geschätzt.
Ein Entscheid der Cern-Mitgliedstaaten, ob sie grünes Licht geben, wird nicht vor 2028 erwartet. Das Projekt ist umstritten, wegen der hohen Kosten und weil nach Meinung einiger Experten zu unklar sei, welche Ergebnisse der Collider wird liefern können. Andere führen dagegen an, Wissenschaft sei immer auch ein Aufbruch auf unbekanntes Terrain.