Russlands Krieg gegen die Ukraine hat viele wissenschaftliche Brücken zum Einstürzen gebracht. Das zeigt sich auch am Forschungszentrum Cern in Genf, das auf Teilchenphysik spezialisiert ist.
Ende Juni lief der Vertrag zwischen dem Cern und Belarus aus. Ende November endet die Kooperation mit Russland. Über 400 Forschende sind davon betroffen. Schon heute dürfen sie nur noch eingeschränkt beim Cern mitforschen.
Eine Tür nach Russland bleibt offen
Der Entscheid vom letzten Dezember, Russland und Belarus definitiv auszuschliessen, war politisch – und zum Teil umstritten. Gefällt hat ihn der Cern-Rat, in dem die Mitgliedsländer mit zwei Personen vertreten sind.
Das gleiche Gremium hat nun aber Ende Juni entschieden, die Zusammenarbeit mit einem Forschungsinstitut in Russland doch zu verlängern. Es geht um das Joint Institute for Nuclear Research, kurz JINR. Es hat seinen Sitz in Dubna, nicht weit von Moskau.
Kritik an der Zusammenarbeit
Warum macht das Cern hier eine Ausnahme? Cern-Sprecher Arnaud Marsollier sagt dazu, das Institut sei international aufgestellt – es gleiche dem Cern. Mehrere Länder würden in Russland zusammen forschen. Es sind Länder aus Zentralasien, aus der Kaukasusregion, aber auch Nordkorea.
Das Institut sei ein russisch dominiertes Projekt, sagt hingegen der ukrainische Delegationsleiter Borys Grynyov auf Anfrage, der für sein Land im Cern-Rat sitzt. Dort werde zudem nicht ausschliesslich zu friedlichen Zwecken geforscht. Zumindest zum Teil habe die Forschung in Dubna sogenannte Dual-Use-Anwendungen, könne also auch für militärische Zwecke eingesetzt werden, so Grynyov.
Putins Interessen am Institut
Der ukrainische Delegierte am Cern verweist auf den Besuch des russischen Präsidenten Wladimir Putin am Institut Mitte Juni in Dubna. Das Brisante dabei: Auch der Vize-Chef des russischen Sicherheitsrats, Dmitri Medwedew, war dabei. Gesprächsthema war laut Medienmitteilung die Entwicklung von wichtigen Technologien für Russland.
Putin lobte danach den Forschungsstandort Dubna als Paradebeispiel. Der gemeinsame Effort von Wissenschaft und Wirtschaft sei auch für die Sicherheit des Landes entscheidend. Welche Technologien genau entwickelt werden sollen, bleibt geheim. Das Institut selbst äussert sich auf Anfrage nicht.
Cern-Sprecher Arnaud Marsollier antwortet nur allgemein auf die Vorwürfe. Das Cern betreibe ausschliesslich friedliche Forschung – das betreffe auch alle internationalen Zusammenarbeiten. Zudem habe das Cern die Beziehung mit dem Institut in Russland bereits nach Kriegsbeginn stark eingeschränkt, sie sei mittlerweile symbolisch.
Ungarn stellt sich gegen den Ausschluss
Die nötige Zweidrittelmehrheit, um JINR vom Cern auszuschliessen, kam Ende Juni im Cern-Rat aber nicht zustande. Viele Länder enthielten sich. Recherchen von SRF zeigen: Das einzige Land, das sich klar gegen den Rauswurf positionierte, ist Ungarn – ein Land, das sich grundsätzlich kritisch zur westlichen Sanktionspolitik stellt.
László Lengyel, der Vize-Chef des ungarischen Bildungs- und Forschungsdepartements, ist Mitglied des Cern-Rats. Er sagt auf Anfrage, es sei keine politische Entscheidung gewesen. Es gehe nur darum, eine gut funktionierende Forschungszusammenarbeit weiterzuführen.
Das Cern hat nicht alle Brücken zu Russland eingerissen – trotz des Krieges. Die Zusammenarbeit mit JINR läuft auf Sparflamme weiter.