Bei Verdacht auf Herzinfarkt zählt jede Sekunde. «Zeit ist Muskel», heisst es in der Herzmedizin, denn: Herzmuskelgewebe, das infolge eines Infarkts nicht mehr durchblutet und mit Sauerstoff versorgt wird, stirbt ab. Die Folge ist Herzschwäche, erklärt Wolfram-Hubertus Zimmermann von der Universitätsmedizin Göttingen: «Bei dieser Erkrankung gehen Herzmuskelzellen unwiderruflich verloren, zehn Prozent der Patienten erreichen im Verlauf einen kritischen Zustand.»
In der Schweiz betrifft eine solche fortgeschrittene Herzschwäche zurzeit etwa 20'000 Personen, und ihnen will Zimmermann helfen. Seit 25 Jahren forscht der Mediziner an einer Stammzelltherapie mit dem Ziel, infarktgeschädigtes Herzgewebe zu regenerieren. «Wir wollen tatsächlich versuchen, Herzreparaturen durchzuführen, und das erproben wir durch die Implantation von Herzpflastern», sagt der Mediziner.
Bei Rhesusaffen erfolgreich
Der Ansatz erscheint simpel, nämlich neues Herzgewebe an jene Stelle zu implantieren, wo Zellen verloren gegangen sind. Dieses Herzgewebe gewinnt Zimmermann aus im Labor hergestellten Stammzellen. Die können sich nahezu uneingeschränkt vermehren und in jeden Typ von Körperzellen ausreifen, also auch in Herzmuskelzellen.
Solche Zellen werden auf ein Pflaster von etwa 4 x 4 Zentimeter Grösse aufgebracht und dieses einfach auf dem Herzen aufgenäht.
Ein Versuch mit Rhesusaffen am Deutschen Primatenzentrum in Göttingen sei positiv verlaufen, so Wolfram-Hubertus Zimmermann. Die implantierten Zellen seien mit der Herzwand verwachsen, das heisst: «Mit der Zeit wurden sie durchblutet und begannen, synchron mit den eigentlichen Herzzellen zu schlagen.» Sowohl das Pumpen der Herzwand als auch das Pumpen des gesamten Herzens habe sich bei manchen Tieren deutlich verbessert.
Ähnlich die Ergebnisse beim Menschen. Schon beim allerersten klinischen Versuch stellten die Forscher fest: Das implantierte Gewebe bleibt an Ort und Stelle und stärkt die geschwächte Herzwand. Nebenwirkungen traten keine auf.
Zulassungsstudie geplant
Nun sei man schon in Phase II der Studie, berichtet Zimmermann: Im laufenden Jahr sollen 14 Patienten behandelt werden; eine Zulassungsstudie mit 200 und mehr Versuchspersonen sei für die Jahre 2026/27 geplant.
Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine Wahnsinnsleistung.
Wie bedeutend ist diese Entwicklung für die Herzmedizin insgesamt? Simon Hoerstrup leitet das Institut für regenerative Medizin an der Universität Zürich und forscht selbst zur Reparatur von Herzgewebe. Die Gruppe aus Göttingen kennt er gut. Hoerstrup sagt: «Aus wissenschaftlicher Sicht ist das eine Wahnsinnsleistung, dass sie das an den Punkt gebracht haben!» Ob das Verfahren breit wirksam sei, müssten weitere Studienresultate aber erst zeigen.
Ähnlich die Einschätzung von Matthias Siepe, Leiter der Herzchirurgie am Inselspital Bern. «Es ist jetzt noch nicht der komplette Durchbruch, dass wir in drei Jahren überall diese Stammzell-Patches anwenden können, aber es ist wirklich ein grosser Schritt in eine klinische Anwendbarkeit.»
Wolfram-Hubertus Zimmermann denkt bereits in grossen Kategorien: Er hofft, dass dereinst Tausende von Menschen mit Herzschwäche dank dem Herzpflaster aus Göttingen besser und länger leben.