Über die Gründe für diese Zunahme kann auch Dr. Hugo Kupferschmidt, seit 2004 Direktor von Tox Info Suisse, nur spekulieren. In den 1960er-Jahren sei dies sicher eine Frage des Bekanntheitsgrads gewesen, während in den letzten 10, 15 Jahren wohl das Bevölkerungswachstum in der Schweiz für die gestiegene Nutzung des Angebots ausschlaggebend war. SRF-Redaktorin Marlen Oehler sprach mit ihm über die tägliche Arbeit der Giftberatungsstelle.
SRF: Welche sind die häufigsten Vergiftungsmomente, wegen derer die Telefonnummer 145 angerufen wird?
Am häufigsten, gerade auch bei Kindern, sind Vergiftungen mit Medikamenten und Haushaltsprodukten. Mit Dingen also, die in jedem Haushalt, in jeder Familie einfach vorhanden sind.
In Schweizer Haushalten gibt es also mehr giftige Produkte als noch 1966?
Das kann man so wahrscheinlich nicht sagen. Ich denke, es waren damals andere Produkte – im Durchschnitt sogar eher gefährlichere oder aggressivere als heute.
Fast 50 Prozent der Vergiftungsanfragen betreffen Kleinkinder unter fünf. Sind die Eltern unvorsichtiger geworden oder rufen sie einfach schneller an als früher?
Kleinkinder sind am ehesten betroffen, weil sie mobil sind, überall im Haushalt herumkriechen und alle möglichen Dinge in die Finger bekommen. Auf der anderen Seite sind sie noch nicht vernünftig genug, nicht alles in den Mund zu nehmen. Das macht diese Altersgruppe zur grössten Risikogruppe. Ich denke, die Eltern sind heute im Schnitt eher vorsichtiger als früher, weil sie die Gefahren schneller sehen und besser aufgeklärt sind.
Was empfehlen Sie Eltern, die wegen einer möglichen Vergiftung ihres Kleinkinds anrufen?
Zuerst muss das Gift identifiziert werden. Wir müssen wissen, worum es geht, um entscheiden zu können, ob die Situation gefährlich ist oder nicht. Dann wird entschieden, ob etwas unternommen werden muss oder nicht. Bei Privatpersonen, die anrufen, geht es in der Regel darum, ob sie zu Hause bleiben können oder sich zum Arzt oder ins Spital begeben sollen.
Welche Möglichkeiten haben Eltern denn zu Hause?
Man kann dem Kind beispielsweise etwas Wasser zu trinken geben. Nach der Einnahme von schäumenden Produkten raten wir dazu, einen Entschäumer zu verabreichen, damit beim Erbrechen nichts in die Lunge gelangt. Gelegentlich empfehlen wir auch, dem Kind Aktivkohle zu geben, die das Gift im Magen binden kann. Sehr oft geht es aber auch einfach nur darum, das Kind einige Stunden etwas genauer zu beobachten, ob Symptome auftreten oder nicht.
Und was sind wirkliche Notfälle, wo schnell gehandelt werden muss?
Wirklich gefährliche Vergiftungen sind Situationen, bei denen bereits lebensgefährliche Symptome vorhanden sind – also wenn jemand zum Beispiel starke Atemnot hat oder bewusstlos ist. Oder wenn etwas eingenommen oder inhaliert wurde und klar ist, dass sich bald lebensbedrohliche Symptome einstellen werden. In der Regel muss dann die Ambulanz gerufen werden.
Vergiftungen vermeiden
- Chemikalien und Medikamente immer in Originalverpackungen aufbewahren; nie in Trinkflaschen oder andere Gefässe umfüllen.
- Chemikalien bei der Anwendung nicht aus den Augen lassen; Anweisungen und Gefahrensymbole beachten.
- Bei Medikamenten an die ärztliche Verordnung halten und/oder Packungsbeilage lesen. Ansonsten Apotheker fragen.
- Die Tox Info App aufs Smartphone laden mit allen wichtigen Informationen zu Vergiftungen und deren Vermeidung und zum richtigen Verhalten im Ernstfall.