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Adipositas Nur dick, oder schon krank?

Bin ich zu dick oder nicht? Diese Frage kann jeder und jede leicht beantworten, mit dem Body-Mass-Index (BMI). «Falsch!», sagt jetzt eine internationale Kommission von Fachleuten, der BMI sei viel zu simpel. Sie schlägt Neues vor.

Mehr als 40 Prozent aller Menschen in der Schweiz sind übergewichtig, 12 Prozent sind sogar stark übergewichtig, also adipös. Damit liegt die Schweiz im internationalen Durchschnitt. 

Hauptwerkzeug, um zu diesen Zahlen zu kommen, ist seit über 50 Jahren der BMI, der Body-Mass-Index. Das müsse sich ändern, und zwar radikal, sagt Louise Baur, Ärztin am Kinderspital «at Westmead» in Sydney. Sie ist eine von 58 Fachleuten, die in einem Bericht nun ganz konkret Neues vorschlagen. Louise Baur speist ihre Einschätzung dabei aus vielen Jahren Erfahrung als Ärztin.  

Wie der BMI berechnet wird

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Der Body-Mass-Index (BMI) berechnet sich so: Körpergewicht in Kilogramm geteilt durch die Körpergrösse in Metern im Quadrat.

Wer über 25 liegt, gilt als übergewichtig. Wer über 30 liegt, gilt als adipös.

«Wenn ein Kind adipös ist, und aus einer Familie stammt, in der zwar alle dick sind, die Eltern aber aktiv und gesund, und die Grosseltern noch am Leben sind, dann mache ich mir weniger Sorgen um das Kind», sagt Baur.

Bei einem anderen Kind mit genau den gleichen Werten, das also genauso adipös ist, dessen Eltern aber schon früh Herzprobleme und Diabetes haben, sei sie sehr viel besorgter. «Dann dränge ich viel mehr auf frühe Therapie, denn dieses Kind ist viel gefährdeter.» Genau diese Unterscheidung werde aber noch viel zu selten gemacht.

Bei Erwachsenen sei das ganz ähnlich, sagt Francesco Rubino vom Kings College London. Ein 45-jähriger adipöser Mann, der sonst gesund ist, könne viel erreichen, wenn er nicht weiter zunimmt, vielleicht etwas abnimmt, und auch sonst auf sich achtet. «Der gleiche Rat -‘Nimm ein bisschen ab’- kann aber fatal sein, wenn dieser 45-Jährige schon erste Probleme mit dem Herzen hat.»

Sein Herz werde sich nicht einfach erholen, nur weil er abnimmt. Rubino: «Er braucht erstens regelmässige Kontrollen, und zweitens eine gezielte Therapie.»

Der BMI bleibt, aber ...

Auch hier brauche es ein genaueres Hinschauen als bisher. Deshalb schlagen die 58 Fachleute in ihrem Bericht vor, zwar weiterhin mit dem BMI zu arbeiten. Aber nur als ersten Schritt. Konkret: Zuerst den BMI zu bestimmen, und wenn der hoch ist, zu prüfen, wie es um den Fettanteil im Körper und um die Organe steht, also Herz, Niere, Lunge, sowie um den Blutkreislauf. Und: Die Familiengeschichte in die Anamnese einzubeziehen.

Wenn jemand nicht nur adipös ist, sondern weitere Symptome hat, solle diese Person in Zukunft als chronisch krank gelten. Mit allen Konsequenzen: regelmässige Checks, auf lange Frist angelegte Therapie, vergütete Medikamente.

Wir haben keine genauen Zahlen, aber ich schätze, dass nur etwa jeder Zehnte, der profitieren könnte, eine adäquate Therapie bekommt.
Autor: Nathalie Farpour-Lambert Universitätspital Genf

Nathalie Farpour-Lambert vom Unispital Genf hat am Bericht mitgeschrieben. Sie hofft, dass «Ärzte und Medizinerinnen in Zukunft aufmerksamer werden, und so Schäden, die mit Adipositas einhergehen, früh genug abfangen.»

Es mangelt an spezialisiertem Personal

Bis jetzt stehe die Schweiz hier nicht besonders gut da. Zu wenige Ärzte seien ausreichend spezialisiert, und wirksame Therapien würden erst zu spät verschrieben, dann wenn gesundheitliche Schäden längst nicht mehr zu beheben sein: «Wir haben keine genauen Zahlen, aber ich schätze, dass nur etwa jeder Zehnte, der profitieren könnte, eine adäquate Therapie bekommt.»

Das heisst: nur der kleinste Teil der 12 Prozent aller Schweizer und Schweizerinnen, die adipös sind, bekomme angemessene medizinische Versorgung. Die 58 Experten hoffen, dass die Vorschläge in ihrem Bericht helfen können, das zu ändern.

Rendez-vous, 15.01.2025, 12:30 Uhr

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