Die Früherkennungsforschung bei Alzheimer bewegt sich auf unterschiedlichen Pfaden. Und sie bewegt sich schnell. Mathias Jucker, Neurowissenschaftler am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung in Tübingen, spricht von einer riesigen Aufbruchstimmung in der Alzheimerforschung: «Die Forschung ist so rapid unterwegs, dass die ersten Bluttests zur Früherkennung in zwei, drei Jahren auf dem Markt sein werden.»
Dem langen Vorlauf der Erkrankung auf die Schliche kommen
Die Forscher konzentrieren sich auf unterschiedliche Biomarker: auf Spuren der Erkrankung im Blut, in der Gehirnflüssigkeit oder direkt in der Gehirnsubstanz. Spuren, die bereits 20 oder 30 Jahre bevor kognitive Defizite auffallen, im Körper sicht- und messbar sind.
Weltweit arbeiten Teams an der Entwicklung von Tests, um dem langen Vorlauf der Erkrankung auf die Schliche zu kommen.
Proteine im Blut verraten den Zustand des Gehirns
Der Früherkennungstest, an dem Jucker mit seinen Leuten arbeitet, kann Eiweisse im Blut bestimmen, die typisch sind für Alzheimer: Beta-Amyloid-Proteine. Diese Proteine weisen darauf hin, wie viel zerstörerische Beta-Amyloid-Plaques sich bereits im Gehirn abgelagert haben.
Der Test misst auch ein zweites Protein, das an Alzheimer beteiligt ist: das TAU-Protein. Eine grosse Menge dieses Proteins im Blut ist ein Anzeichen für mögliche TAU-Verklumpungen, die Hirnzellen zerstören und das Gehirn schädigen. Das passiert bereits Jahrzehnte bevor die erkrankten Personen erste Symptome spüren, sich z.B. schwer damit tun, sich neue Namen einzuprägen oder Neues zu lernen
Zum Alzheimer-Test in die Hausarztpraxis
Die Hoffnung der Forscher sind einfache Bluttests in der Hausarztpraxis, die teure Bilder aus dem Hirn-Scanner oder die schmerzhafte Entnahme von Rückenmarksflüssigkeit in spezialisierten Kliniken bald ersetzen können.
«Das ist die Zukunft», sagt Mathias Jucker. Zuerst aber müssen diese Bluttests noch validiert werden. Wo liegen die Grenzwerte der Proteine im Blut? Wie zuverlässig kann ein Test eine Alzheimer-Erkrankung Jahre oder gar Jahrzehnte vor dem Ausbruch voraussagen?
Warum testen ohne Therapie?
Bleibt ein grosses Problem. Warum testen, wenn es keine Therapie gibt – abgesehen vom kürzlich in den USA zugelassenen, aber umstrittenen Antikörper Aducanumab. Andreas Monsch, Leiter der Memory-Klinik Basel nennt mehrere Gründe für eine Testung.
Bei bereits erkrankten Menschen mit milden Symptomen beobachte er zum einen, dass eine Diagnose 90 Prozent seiner Patienten an der Basler Memory Clinic erleichtere. Sie hätten nun einen Namen für ihre Probleme und könnten sich mit der Krankheit auseinandersetzen und sich vorbereiten.
Früh erkrankte helfen der Forschung und vielleicht sich selber
Dank künftigen Früherkennungstests in der präklinischen Phase, könnten zum andern früh diagnostizierte Menschen rechtzeitig in Studien für neue Therapien einbezogen werden.
Denn die zahlreichen erfolglosen Wirkstoff-Studien der letzten Jahre waren wohl zu spät angesetzt. Die Erkrankung der Versuchspersonen war zu weit fortgeschritten, so dass die Demenz nicht mehr aufzuhalten war.
Lernen aus den Flops vergangener Jahre
Über 100 Wirkstoffe sind seit den 1990er Jahren gefloppt. Darunter vielleicht auch Wirkstoffe, die zwar nicht im fortgeschrittenen Krankheitsstadium, aber bei früh diagnostizierten Patientinnen helfen könnten.
Bestätigt sich die Hoffnung von Mathias Jucker können sich in naher Zukunft schon verhältnismässig junge Menschen auf ihr Alzheimer-Risiko testen lassen. 40-Jährige oder sogar 30-Jährige werden dann ihr Risiko an Alzheimer zu erkranken kennen. Wenn sie es überhaupt wissen wollen.
Kehren die Pharmariesen ins Forschungsfeld zurück?
Gut möglich, dass der Boom in der Test-Entwicklung auch der Suche nach Alzheimer-Medikamenten zusätzlichen Schub verleiht. Gut möglich auch, dass dieser Drive die grossen Pharmakonzerne zurückbringt, die sich in den vergangenen Jahren – einer nach dem andern – von der Alzheimerforschung verabschiedet haben.