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Covid – Wie weiter?
Aus Puls vom 05.09.2022.
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Coronavirus Covid-19: Wie die Medizin heute schwere Verläufe verhindert

Der Fokus bei der Behandlung von Covid-Erkrankten hat sich seit dem Beginn der Pandemie drastisch verändert: Waren damals noch die Schwererkrankten mit Lungenentzündungen auf der Intensivstation im Mittelpunkt, versucht man heute, es gar nicht erst so weit kommen zu lassen.

Die Bilder Anfang 2020 waren dramatisch: Überfüllte Intensivstationen in Bergamo und Mailand, Menschen an Beatmungsgeräten, Ärztinnen und Ärzte am Anschlag. Wenig später gab es auch in der Schweiz immer mehr Covid-19-Erkrankte. Intensivmediziner und Pflegende waren überfordert, eine erprobte wirksame Behandlung nicht verfügbar.

Nicolas Müller, leitender Arzt der Klinik für Infektionskrankheiten und Spitalhygiene am Universitätsspital Zürich, erinnert sich noch gut an diese Tage. Verzweiflung pur.

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Am Anfang der Pandemie konnte man nur Sauerstoff geben und intubieren
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Anfang 2020, zu Beginn der Pandemie, waren die Schweizer Spitäler vor allem mit Schwerkranken konfrontiert. Sie wurden eingeliefert, mit Lungenentzündungen, Atemnot und einem überbordenden Immunsystem. Man gab ihnen Sauerstoff, intubierte sie, und wenn gar nichts mehr ging, wurden sie an die Herz-Lungen-Maschine ECMO gehängt.

Altbekannte Medikamente mit enormer Wirkung

In der Not setzte man auf bereits vorhandene Medikamente, von denen man lediglich aufgrund der Literatur hoffte, dass sie wirkten. Spezifisch entwickelte Medikamente gegen das neue Virus namens SARS-CoV-2 gab es damals nicht. Und: Es brauchte einiges an Zeit, um herauszufinden, was gegen Covid-19 wirkt.

«Das erste Medikament, welches für uns ein Durchbruch war, waren die Steroide», erklärt Nicolas Müller. «Eine Medikamentengruppe, die man seit Jahrzehnten schon kennt.» Sie führten zu einer wirklichen Verbesserung bei Patienten mit schweren Lungenentzündungen.

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«Der Einsatz von Steroiden war der erste Durchbruch»
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Steroide wie zum Beispiel Kortison bekämpfen nicht das Virus selbst, sondern wirken auf das körpereigene Immunsystem – und genau diese Wirkung ist bei Covid-19 notwendig. Denn: Bei Covid-19 kommt es im Lungengewebe oft zu einer gefährlichen Überreaktion des Immunsystems.

Die von unserer Immunabwehr produzierten Killerzellen zerstören nicht nur vom Virus infizierte Zellen, sondern auch gesunde Lungenzellen und machen alles viel schlimmer. Die entzündungshemmenden Steroide bremsen die übereifrige Körperabwehr und helfen so, die Lunge zu beruhigen. Auch heute noch werden sie bei schweren Verläufen eingesetzt.

Und noch ein anderes, altbekanntes Medikament erwies sich als wertvoll: der Blutverdünner. Mit der Erkenntnis, dass Covid das Gerinnungssystem durcheinanderbringt und für Blutgerinnsel in den verschiedensten Organen sorgt, wurde er zu einem wichtigen Instrumentarium, das auch heute noch bei der frühen Behandlung von Covid eingesetzt wird.

Schwere Verläufe abfangen

Grundsätzlich hat sich der Schwerpunkt der Behandlung von Covid-19 aber verlagert. Waren anfangs Pandemie die Schwerkranken im Vordergrund, will man es heute gar nicht mehr zu einem schweren Verlauf kommen lassen.

Heute setzt man so früh wie möglich antivirale Medikamente ein, um die Vermehrung der SARS CoV-2-Viren in den Körperzellen zu verhindern (oder: damit sich die SARS-CoV-2 Viren in den Körperzellen weniger stark vermehren).

Wir versuchen, die Patienten, die potenziell einen schweren Verlauf haben könnten, möglichst früh zu selektionieren.
Autor: Nicolas Müller Leitender Arzt der Klinik für Infektionskrankheiten am USZ

Die meist im Labor hergestellten Antikörper fangen die Viren vor dem Eindringen in die Körperzellen ab, blockieren den Vermehrungsvorgang oder stärken die eigene Immunabwehr. Vereinfacht gesagt halten sie die Viren davon ab, eine Körperzelle zu kapern und sie in eine Virenfabrik umzufunktionieren.

 «Wir versuchen, die Patienten, die potenziell einen schweren Verlauf haben könnten, möglichst früh zu selektionieren», erklärt Nicolas Müller. «Bei ihnen haben wir eine neue Möglichkeit, um den schweren Verlauf zu verhindern. Das ist heute eigentlich das Hauptziel.»

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Antivirale Medikamente sollen die Vermehrung der Viren früh stoppen
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Abgegeben werden die antiviralen Medikamente an Patientinnen und Patienten, die aufgrund einer Erkrankung oder Therapie ein geschwächtes Immunsystem haben. In der Schweiz schätzt man diese Personengruppe auf 100'000 bis 200'000 Menschen. Für sie ist Covid-19 noch immer eine gefährliche Krankheit.

Von der Notbehandlung zur Frühbehandlung

Das erste antivirale Medikament war Remdesivir, ein Ebola-Medikament. Mit der Zeit kamen andere antivirale Medikamente hinzu, die spezifisch gegen Covid-19 entwickelt wurden. Allerdings ist ihre Wirkung abhängig von der Virusvariante, erklärt Nicolas Müller. Einen hundertprozentigen Schutz oder eine hundertprozentige Behandlung gebe es nie.

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Medikamente können mit neuen Virenvarianten an Wirksamkeit einbüssen
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Paxlovid ist das neuste antivirale Medikament und seit April auch in der Schweiz zugelassen. Es hat eine sehr gute antivirale Wirksamkeit, verhindert schwere Verläufe oder gar Todesfälle. Aber: Es interagiert oft mit anderen Medikamenten. Und gerade die Personengruppe, die Paxlovid bekommt, nimmt aufgrund ihrer Prädisposition meist viele andere Medikamente. «Für diese Patienten wäre ein grosser Benefit, wenn wir ein antivirales Medikament mit weniger Interaktionen hätten», so Nicolas Müller.

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Paxlovid verhindert schwere Verläufe und Todesfälle, ist aber nicht ganz einfach einzusetzen
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Der grosse Unterschied in der Handhabung von Covid-Patienten im Vergleich zum Beginn der Pandemie ist also die Verschiebung von der Notbehandlung von Schwerkranken zur Frühbehandlung von Risikopersonen mit geschwächtem Immunsystem, die auch nach einer Impfung keine Antikörper entwickelt haben.

Wer geimpft ist oder die Erkrankung durchgemacht hat, ist laut Nicolas Müller vor einem schweren Verlauf gut geschützt: «Die Impfung schützt zwar nur kurz vor einer Infektion, aber sie schützt in den allermeisten Fällen sehr gut vor einem schweren Verlauf. Von dem her ist die Impfung das zentrale Element. Trotz einer riesigen Welle im Frühjahr und Sommer hatten wir im Spital weniger schwere Verläufe. Das hat einerseits mit der Variante Omikron zu tun, aber vor allem mit der Immunisierung.»

«Die Situation ist erfreulich – aber die Lage kann wieder ändern»

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Legende: SRF

Der Intensivmediziner und Vizedirektor der Intensivmedizin am Universitätsspital Zürich Peter Steiger hat hautnah miterlebt, wie die Pandemie ausbrach und Schwerkranken auf der Intensivstation behandelt. Was heute anders ist.

SRF: Wie ist die Situation bei Ihnen auf der Intensivstation im Moment?

Peter Steiger: Was Covid anbelangt, ist es sehr erfreulich. Es liegt genau ein Covid-Patient auf der Intensivstation. Wir sind also nicht stark belastet durch erkrankte Covid-Patienten.

Beatmen und den Körper drehen war das, was die Ärztinnen und Pflegefachleute am Anfang auf den Intensivstationen machen konnten. Können sie heute mehr tun für die Patienten?

Seit einem Jahr gab es keine bahnbrechenden Errungenschaften mehr. Was sehr geholfen hat, waren Kortisonpräparate. Damit haben wir die Entzündung in den Griff bekommen. Aber sonst gibt es für diese Phase der Krankheit nichts Neues.

Die Todesfälle wegen Covid sind stark zurückgegangen. Ist das auch bei Ihnen auf der Intensivstation so?

Wir behandeln heute fast ausschliesslich Patienten, deren Immunsystem nicht mehr funktioniert. Sie haben zum Beispiel einen angeborenen Immundefekt und können keine Antikörper bilden, auch wenn sie geimpft werden. Auch Menschen mit Leukämie oder Patienten, deren Immunsystem nach einer Transplantation oder wegen rheumatologischen Erkrankungen durch Medikamente eingeschränkt wird, landen bei uns. Geschätzt sterben etwa 20 bis 25 Prozent dieser Covid-Patienten. Andere Covid-Patienten haben wir hier auf der Intensivstation gar nicht mehr, ausser ab und zu einen Patienten mit – und nicht wegen – Covid.

Kann es aus ihrer Sicht auch heute noch passieren, dass Intensivstationen so stark ausgelastet sind, dass Massnahmen ergriffen werden müssen?

Ja, das kann immer noch passieren aufgrund des fehlenden Personals – eine andere Folge von Covid. Weniger Personal heisst: Wir können auch nur weniger Patienten behandeln. Wir fangen meist mit null freien Betten am Morgen an und hören am Abend mit null freien Betten auf. Dazwischen ist es sehr aufwändig, Betten für neue Patienten freizumachen.

Das Gespräch führte Daniela Lager.

Puls, 05.09.2022, 21:05 Uhr

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