Masern sind ansteckend, und zwar so ansteckend, dass kaum jemand ohne Infektion davon kommt, der einem Masernkranken zu nahe kommt. «Wenn eine kranke Person sich in einem Raum mit 20 Leuten aufhält, dann haben sich danach fast alle angesteckt», sagt Michael Mina, Forscher an der US-Universität Princeton. Der einzige echte Schutz vor einer Infektion sei Immunität.
Herdenimmunität schützt
Bis vor gut 50 Jahren war der einzige Weg zur Immunität, die Krankheit einmal durchzumachen, danach war man geschützt. Das führt dazu, dass die Masern sich nach einem Ausbruch erst dann wieder in der Bevölkerung ausbreiten, wenn genügend anfällige Menschen neu dazugekommen sind, egal ob durch Geburt oder durch Zuzug. Gibt es genug Anfällige, läuft die nächste Epidemie durch die Bevölkerung, und führt wieder für einige Jahre zur Herdenimmunität. Dasselbe soll heute die Impfung erreichen.
Und das sei auch besser so, sagt Michael Mina, denn die Masern haben nicht nur im Moment der eigentlichen Infektion Folgen für den Körper. In einer Studie mit Makakenaffen haben niederländische Forscher 2012 nachgewiesen: Masern schädigen das Immunsystem nicht nur akut während der Erkrankung oder für einige Wochen oder Monate danach. Die Immunzellen der Tiere waren zahlenmässig zwar schon nach einigen Wochen wieder auf demselben Niveau wie vor der Maserninfektion, doch fast alle Immungedächtniszellen waren gegen die Masern gerichtet. Das heisst, die Tiere hatten ihr Immungedächtnis verloren.
Langfristiger Effekt
Der Forscher Michael Mina nennt das den langen Schatten der Masern. Die Frage, die er sich stellte, war: Wie lange hält dieser Effekt an? Und was bedeutet er für die Infektionsanfälligkeit der Betroffenen? Muss das Immunsystem eines Masernkranken nach der Krankheit wieder ganz von vorne lernen, Infektionen abzuwehren? Wenn ja, müsste die Sterblichkeit – und besonders die Kindersterblichkeit – durch Infektionen nach einer Masernepidemie deutlich ansteigen.
Wühlarbeit in alten Daten
Michael Mina sagte sich: Wenn der Effekt tatsächlich so drastisch ist, müsste man ihn in den Daten zur Kindersterblichkeit aus den Jahrzehnten vor der Einführung der Masernimpfung finden können. Er suchte sich Datensätze zusammen, die besonders gut und genau waren: aus Dänemark, den USA, England und Wales. Er probierte unzählige Kombinationen aus, schob Daten hin und her und fand tatsächlich, dass die Masern die Kindersterblichkeit nach oben treiben, und zwar für etwa 2,5 Jahre.
Das ist ein Indiz dafür, dass es rund 2,5 Jahre lang dauert, bis das Immunsystem sich vom Masernangriff vollständig erholt und wieder neu gelernt hat, Infektionen abzuwehren. Im menschlichen Immunsystem selbst hat diesen Effekt noch niemand untersucht. Das heisst, es hat noch niemand nachgezählt, ob nach einer Maserninfektion tatsächlich fast nur noch Immungedächtniszellen gegen Masern vorhanden sind, und fast keine mehr gegen andere Krankheitserreger. Das wäre der nächste Schritt. Kleinere Masernausbrüche, die auch in Europa oder den USA immer wieder auftreten, wären dafür eine Chance.
Besonders tückisch findet Mina an dieser Masernfolge, dass man sie nicht auf den ersten Blick erkennt: «Wenn jemand die Masern gut übersteht, aber ein Jahr danach an einer Lungenentzündung stirbt, denkt keiner daran, dass daran vielleicht die Masern schuld gewesen sein könnten.»