Es ist Frühling und sofort wird das Thema Frühjahrsmüdigkeit zum wichtigen Smalltalk. So richtig erklären kann sich das der Chronobiologe und Schlafforscher Christian Cajochen nicht: «Eigentlich müsste das Gegenteil der Fall sein, die Leute sollten sich nicht antriebslos fühlen, sondern aktiver».
Der Grund seien die stetig länger werdenden Tage und die vermehrte Lichtzufuhr. Das Sonnenlicht regt unseren Körper dazu an, mehr Dopamin und Serotonin zu produzieren – zwei Botenstoffe, die uns glücklich und zufrieden machen.
Was passiert, wenn die Sonne scheint
Eine australische Studie zeigte 2003, dass es einen direkten Zusammenhang gibt zwischen Sonne und unserem Serotonin-Spiegel: Je mehr Sonnenlicht die Menschen ausgesetzt waren, desto höher war ihr Serotonin-Spiegel – und desto besser ihre Laune.
Verantwortlich sind spezielle Zellen in unseren Augen, wie Forscher 2002 herausfanden. Sie entdeckten in unserem Auge Zäpfchen und Stäbchen eine dritte Art von Zellen, mit der wir das Sonnenlicht zwar nicht sehen können, die aber unser Gehirn anregen, Serotonin auszuschütten.
Andere Studien zeigten, dass Sonnenlicht nicht nur zufriedener, sondern auch hilfsbereiter und sogar kreativer macht.
Melatoninspiegel spielt keine Rolle
Was laut Chronobiologe Christian Cajochen hingegen im Frühjahr keine Rolle spielt, ist eine Anpassung des Botenstoffs Melatonin an die längeren Tage. Melatonin ist ein Hormon, das unsere innere Uhr anstösst. So gegen 21 Uhr steigt die Melatonin-Konzentration und signalisiert unserem Körper: Schlafenszeit!
Immer wieder wird vermutet, dass Frühjahrsmüdigkeit auch daher rühren könnte, dass unser Körper im Winter, wenn die Tage kürzer sind, mehr Melatonin produziert. Die These: Wenn dann im Frühjahr die Produktion wegen der längeren Tage zurückgefahren wird, hat das einen ermüdenden Effekt.
«Der Melatoninspiegel von Menschen im Winter und im Sommer gemessen zeigen üblicherweise keinen signifikanten Unterschied. «Vielleicht hätten wir im Mittelalter einen gefunden». Doch dadurch, dass wir auch im Winter mit künstlichem Licht leben, gäbe es keinen grossen Unterschied mehr zwischen den Jahreszeiten.
Aber stopp: Frühjahrsmüde kann man eben doch sein
Wer nun immer noch sagt: «Ich bin aber müde!», hat wahrscheinlich dennoch recht. Denn neben den veränderten Lichtverhältnissen im Frühjahr gibt es ja auch noch die veränderte Temperatur.
«Die Müdigkeit ist eher eine Antwort auf den Wetterwechsel», so Cajochen. Durch die wärmeren Temperaturen weiten sich unsere Blutgefässe und der Blutdruck sinkt. Vor allem Menschen mit niedrigem Blutdruck können sich dadurch müde fühlen.
«Der Effekt ist etwa so, wie wenn Sie aus der winterlichen Schweiz ins warme Marokko fliegen», sagt der Chronobiologe und Schlafforscher. Am besten verhalten wir uns bei Frühjahrsmüdigkeit also genau so wie zu Ferienbeginn: Raus in die Sonne und viel bewegen. Das macht froh und bringt den Kreislauf auf Trab.