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Gendermedizin Warum Frauen öfter an Herzstillstand sterben

Frauen sterben häufiger an den Folgen eines Herzstillstandes als Männer. Sie kommen nach einem Herzstillstand seltener auf die Intensivstation. Wenn doch, erhalten sie weniger Therapien. Das zeigt eine Studie des Universitätsspitals Basel und der Universität Basel. 

Regula Ott

SRF-Wissenschaftsredaktorin

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Regula Ott ist promovierte biomedizinische Ethikerin und Neurobiologin. Ihre Spezialgebiete sind Neurobiologie, Ethik und Gendermedizin. Sie arbeitet seit 2023 in der SRF-Wissenschaftsredaktion.

1. Frauen werden nach einem Herzstillstand schlechter behandelt als Männer. Gibt es biologische Gründe dafür?  

Männer erleiden einen Herzstillstand häufiger in jüngeren Jahren als Frauen. Später kehrt sich dieses Verhältnis um. Frauen sind zum Zeitpunkt des Herzstillstands also tendenziell älter. Und leiden dadurch auch häufiger an Begleiterkrankungen. Das könnte gemäss Studie eine biologische Erklärung sein, warum Frauen in dieser Studie ein höheres Sterberisiko haben als Männer.

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Für die Studie wurden 41'733 Patientinnen und Patienten mit Herzstillstand in der Schweiz untersucht. Und zwar innerhalb eines Zeitraums von 15 Jahren. Etwas mehr als die Hälfte, also 21'692 dieser untersuchten Personen, wurde auf Schweizer Intensivstationen aufgenommen und behandelt.  

Es zeigt sich: Bei ähnlichen Beschwerden hatten Frauen eine 18 Prozent geringere Wahrscheinlichkeit als Männer, auf die Intensivstation aufgenommen zu werden. Und die Frauen, die den Herzkreislaufstillstand überlebt hatten, starben im Verlauf häufiger als Männer (Sterblichkeitsrate von 41.8 Prozent vs. 36.2 Prozent). Zusammenfassend: Frauen wurden seltener in die Intensivstation eingewiesen, erhielten weniger fortgeschrittene Behandlungen. Ihre Behandlungsdauer war kürzer und sie hatten im Vergleich zu Männern ein höheres Risiko auf der Intensivstation zu sterben.

In dieser Studie werden Männer und Frauen verglichen, da diese zwei Kategorien bei Eintritt in Notaufnahmen erhoben werden. Somit kann die Studie keine Aussagen zu intergeschlechtlichen Menschen machen, also zu Menschen mit körperlichen Merkmalen, die nicht den üblichen medizinischen Definitionen eines weiblichen oder eines männlichen Körpers entsprechen. Auch können keine Schlüsse dazu gemacht werden, wie non-binären Menschen behandelt wurden.

Doch das erklärt nicht, warum Männer rascher und ausgiebiger behandelt werden. Gemäss der Studie hat dies nicht mit biologischen Gründen zu tun. Sondern mit Denkmustern, die Männer bevorzugen. Und mit soziokulturellen Faktoren, also was von Frauen und Männern gesellschaftlich erwartet wird und wie sie sich zu verhalten haben. Um solche Erwartungen berücksichtigen zu können, hilft der Begriff Gender.  

2.  Welche soziokulturellen Faktoren erklären laut Studie die Ungleichbehandlung?

Eine mögliche Erklärung hinsichtlich Gender sind traditionelle Geschlechterrollen, wie das Sorgen für Andere. Es kann sein, dass Frauen deshalb später medizinische Versorgung für sich in Anspruch nehmen als Männer. Zudem könnten ältere Frauen bei Herzstillständen weniger oft Hilfe ausserhalb eines Spitals erhalten, da sie öfter allein leben. Es braucht aber weitere Studien, um die soziokulturellen Erklärungen zu finden.  

Um das besser verstehen zu können, hilft es sehr, das biologische Geschlecht (Englisch Sex) und das soziale, gefühlte und gelebte Geschlecht (Englisch Gender) mit einzubeziehen. Denn alle diese Aspekte von Geschlecht können einen Einfluss auf den Körper und somit auf die Gesundheit haben.

3. Was kann die Gendermedizin an Nutzen bringen? 

Sie kann eine bessere Medizin für uns alle ermöglichen. Mithilfe verschiedener Kategorien zu Gender können wir nach Antworten suchen, auf Fragen wie: Warum haben Frauen häufiger Multiple Sklerose? Wie reagieren intergeschlechtliche Menschen auf bestimmte Medikamentendosen? Was sind mögliche Einflüsse einer non-binären Geschlechtsidentität auf die Gesundheit? Warum bleiben Depressionen bei Männern häufiger unentdeckt? Wichtig dabei: Die Umwelt und die Gene sind in einer kontinuierlichen Wechselwirkung. Soziale Erwartungen beeinflussen unser Verhalten - unser Verhalten wiederum unsere Gene. Und diese haben dann wieder einen Einfluss auf unser Verhalten.

4. Ist es neu, dass Männer und Frauen in der Notaufnahme unterschiedlich behandelt werden? 

Nein, auch Studien zur Gabe von Schmerzmedikamenten in Notaufnahmen zeigen ein ähnliches Bild. Eine Studie von 2024 wies nach, dass Frauen weniger rasch Schmerzmedikamente in Notaufnahmen erhalten als Männer mit gleich starken Schmerzen. Zudem müssen Frauen durchschnittlich 30 Minuten länger auf Behandlung warten. Dasselbe Szenario untersuchte eine andere Studie von 2024. Und schaute dabei nicht nur auf Diskriminierung aufgrund von Gender, sondern auch auf möglichen Rassismus.  

Sie zeigt: Bei gleichem Schweregrad wurden weisse Männer eher als dringlicher Notfall eingestuft als weisse Frauen. Nicht-weisse und hispanische Frauen hatten die tiefste Wahrscheinlichkeit, als dringlich eingestuft zu werden.  

Wissenschaftsmagazin, 01.02.2025, 12:40 Uhr ; 

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