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Carolin Lerchenmüller: Warum Gendermedizin allen nützt
Aus Tagesgespräch vom 13.06.2024. Bild: zvg/SRF
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Gendermedizin Warum Gendermedizin für Frauen und Männer wichtig ist

Wie und woran Menschen erkranken, ist auch eine Frage des Geschlechts. Viele Krankheiten haben geschlechtsspezifische Ursachen und äussern sich bei Männern und Frauen unterschiedlich, was Auswirkungen auf die Therapie und die Medikamente hat. Seit dem 1. Mai gibt es an der Universität Zürich einen Lehrstuhl, der zu diesem Thema forscht. Die Kardiologin Carolin Lerchenmüller ist die erste Professorin für Gendermedizin in der Schweiz.

Carolin Lerchenmüller

Ärztin

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Carolin Lerchenmüller ist Ärztin für Kardiologie am Universitätsspital Heidelberg. Sie forscht zudem zum Thema Frauen in der Wissenschaft.

Was ist Gendermedizin?

Die Gendermedizin will das Geschlecht in Gesundheit und Krankheit anerkennen. Es ist wichtig, sowohl die soziokulturellen als auch die biologischen Unterschiede zwischen den Geschlechtern zu berücksichtigen. Damit meine ich nicht nur das binäre Geschlechtersystem von Mann und Frau.

In den letzten Jahrzehnten wurde weniger über Frauen geforscht, was zu einer Datenlücke geführt hat.

Gendermedizin geht darüber hinaus. Sie will allen Geschlechtern gerecht werden. In der Forschung gehen wir heute davon aus, dass es ein Geschlechterspektrum gibt und dass dieses einen relativ grossen Einfluss auf Gesundheit und Krankheit hat.

Gendermedizin wird oft mit Frauen assoziiert. Profitieren Frauen mehr von diesem Forschungsgebiet?

Es muss eine präzise und gerechte Medizin sein, die alle Geschlechter berücksichtigt. In den letzten Jahrzehnten wurde weniger über Frauen geforscht, was zu einer Datenlücke geführt hat. Deshalb gibt es heute ein grösseres Entwicklungspotenzial für Frauen.

Denn der Mann ist immer noch der Prototyp in der Medizin. Sei es die männliche Maus oder die männliche Zelle im Labor.

Ein Mann wird von einem Arzt untersucht.
Legende: Medikamente wirken bei Frauen und Männern nicht immer gleich. Keystone/MARTIN Rütschi

Der weibliche Zyklus kann die Wirkung eines Medikaments beeinflussen. Für eindeutige Ergebnisse müssen umfangreichere Studien durchgeführt werden, die dann auch teurer sind ...

Das stimmt. Alle Geschlechter in der Medizin anzuerkennen, kostet mehr und ist ressourcenintensiver. Die Frage ist, was es kostet, es nicht zu tun.

Der Herzinfarkt wird fast ausschliesslich aus männlicher Sicht beschrieben.

In den letzten Jahren mussten viele Medikamente vom Markt genommen werden. Medikamente, die vor allem an Männern getestet wurden und bei Frauen unerwünschte Nebenwirkungen hatten, die nicht tragbar waren.

Ein bekanntes Beispiel für den Unterschied zwischen Männern und Frauen in der Medizin ist der Herzinfarkt. Warum ist dieses Beispiel so wichtig?

Der Herzinfarkt wird fast ausschliesslich aus männlicher Sicht beschrieben. Das geht so weit, dass in Anatomiebüchern der Mann mit dem typischen Symptom abgebildet ist, wie er sich an die linke Brust fasst. Wir wissen, dass die Symptome bei Frauen oft viel subtiler sind: Unterleibsschmerzen, Schweissausbrüche oder Schlaflosigkeit.

Bei Frauen wird deshalb seltener die Ambulanz gerufen, und wenn doch, dann verstehen die Rettungskräfte vor Ort nicht sofort, dass es sich um einen Herzinfarkt handelt. Weiter kommt es in manchen Fällen zu einer verzögerten Behandlung im Spital, was letztlich dazu führt, dass Frauen häufiger an einem Herzinfarkt sterben als Männer.

Gibt es auch umgekehrte Beispiele, also Fälle, in denen der Mann von der Gendermedizin profitieren kann?

In der Tat. Beispielsweise sind die Fragebögen zur Diagnose von Depressionen auf Frauen ausgerichtet. Die Symptome sind jedoch bei Männern und Frauen unterschiedlich. Frauen sind eher niedergeschlagen und traurig, während sich die Depression bei Männern in Aggressivität und Reizbarkeit äussern kann. Auch hier sind die Unterschiede relevant, denn Männer begehen häufiger Suizid aufgrund einer Depression als Frauen.

Das Gespräch führte David Karasek, Mitarbeit Géraldine Jäggi.

Tagesgespräch, 13.06.2024, 13 Uhr ; 

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