Typische Symptome bei einem Herzinfarkt? Schmerzen in der Brust, ziehen am linken Arm. Diese Antwort würden wohl die meisten geben. Stimmt auch. Wenn man von einem Mann ausgeht, was in der Medizin nach wie vor üblich ist. Bei einer Frau äussert sich ein Herzinfarkt anders. Sie kämpft dann eher mit Übelkeit, Bauch-, Rücken- und Kieferschmerzen. Weil diese Symptome häufig nicht erkannt werden, ist die Gefahr, dass die Frau an einem Herzinfarkt stirbt, grösser als beim Mann.
Unterschiedliche Symptome, unterschiedliche Behandlung
Solche konkreten Beispiele werden seit einem halben Jahr an der Uni Luzern mit den Studierenden angeschaut. Ein Novum, welches gut ankommt. Die angehenden Medizinerinnen und Mediziner seien sehr sensibilisiert auf dieses Thema. «Mehr als man es früher war», sagt Tanja Volm. Sie ist Frauenärztin und Mitinitiantin des Moduls Gendermedizin an der Uni Luzern.
Die Studierenden wollen ganz genau wissen, bei welchen Symptomen sie darauf achten müssen, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt.
Trotzdem sei die Wissenslücke bei den Studierenden gross. «Die Studierenden wollen ganz genau wissen, bei welchen Symptomen sie darauf achten müssen, ob es sich um eine Frau oder um einen Mann handelt. Und bei welchen es nicht so relevant ist.» Auf dieses Bedürfnis wolle man bei künftigen Kursen noch präziser eingehen.
Die konkreten medizinischen Fragestellungen seien ein Teil des Moduls. Auch wenn klar ist, dass nach wie vor neue Medikamente vorwiegend an Männern getestet werden, wolle sie eins klarstellen, sagt Tanja Volm: «Gendermedizin ist nicht Frauenmedizin. Es ist ein Zweig der Medizin, der wirklich versucht, Männern wie Frauen die bestmögliche Diagnostik und Therapie zukommen zu lassen.»
Heikle Themen ansprechen
Ein weiteres Thema, welches bei der Gendermedizin an der Uni Luzern angeschaut wird: geschlechtsspezifische Diagnosen, zum Beispiel bei der Depression. Diese gelte als Frauenkrankheit. Rein objektiv sei es aber so, dass Männer häufiger Depressionen haben. «Die Männer wollen sich selbst die Krankheit nicht zugestehen. Das ist nicht attraktiv, das hat man nicht. Dazu kommt, dass auch die männlichen Ärzte häufig Probleme haben, ihre Patienten darauf anzusprechen, weil sie ebenfalls dieses Bild im Kopf haben.» Die Studierenden sollen lernen, solche heiklen Themen anzusprechen.
Gendermedizin ist nicht Frauenmedizin.
Weitere Unterrichtseinheiten behandeln das Erkennen von häuslicher Gewalt (auch an Männern), Umgang mit queeren Menschen oder Karrierechancen und Lohngleichheit von Ärztinnen und Ärzten.
Das Modul Gendermedizin ist an der Uni Luzern ein Wahlpflichtmodul. 16 Unterrichtsstunden beinhaltet es. Die Bilanz nach dem ersten Semester zeigt: «Viele der Studierenden sagten, es hätten auch doppelt so viele Stunden sein können», sagt Tanja Volm.
Kein eigenes Fach Gendermedizin
Die Uni Luzern bietet als erste Uni diesen Kurs an. Sie habe den Vorteil, dass sie eine junge Uni sei. Erst seit dem letzten Sommer kann man in Luzern den Master in Medizin machen.
Für Tanja Volm allerdings ist es wichtig, dass Gendermedizin kein eigenes Fach werde: «Ich möchte nicht, dass wir in Zukunft sagen, neben der Kardiologie und der Pneumologie gibt es auch noch Gendermedizin.» Ihr Ziel wäre, dass die Sichtweise auf Genderunterschiede integrativ in die klassische Medizin einbezogen werden kann: «Dass man, wenn man zum Beispiel Chirurgie unterrichtet, immer im Kopf hat: Es gibt Männer, es gibt Frauen, Kinder, Dicke, Dünne und sich dann überlegt, was für welche Gruppe gilt.»